Burgtheater verwebt „Kaufmann von Venedig“ und „Othello“

Am Rialto herrscht Hochbetrieb. Eben eilte General Othello, der gegen die von den Türken aufgebotene Streitmacht in See stechen soll, vorüber, da sieht man auch schon Antonio, den Kaufmann von Venedig, bange Richtung Meer blicken. Er erwartet seine Handelsflotte mit reicher Ware zurück und ist bis dahin nicht liquid. „This is Venice“ ist das Motto, das am Samstag im Burgtheater ausgegeben wird.

Für die Produktion, die von Sebastian Nübling inszeniert wird, haben die Kulturwissenschafterin Elisabeth Bronfen und die Bühnenbildnerin Muriel Gerstner zum ersten Mal die zwei in Venedig spielenden Stücke William Shakespeares, die gegen 1596 entstandene Komödie „Der Kaufmann von Venedig“ und die wenige Jahre später geschriebene Tragödie „Othello“, miteinander verschränkt. Im Gegensatz zu den Römerdramen Shakespeares sei es tatsächlich das erste Mal, dass diese beiden Stücke gemeinsam zur Aufführung kommen, glaubt Bronfen: „Die Forschung kennt das schon. Erstaunlich ist nur, dass das nicht in die Theaterpraxis übergegangen ist.“

Erzähle man unter Kollegen von dem Vorhaben, herrsche zunächst oft Verwunderung, sagt Gerstner im Gespräch mit der APA. „Erklärt man dann den systemischen Rassismus, der beiden Stücken immanent ist, und weist man darauf hin, dass beide Stücke damit enden, dass man einen Sündenbock isoliert hat, dann sagen alle: Ja, klar!“ Die Schweizerin verbindet eine langjährige Zusammenarbeit mit Nübling und Lars Wittershagen, der die Musik beisteuert. Wird auch der Zuschauer beim Anblick ihrer Bühne sagen können: „This is Venice“? „Nein, Venedig ist eine Metapher, ein reines Gefäß - dunkel, glitzernd und verführerisch.“ Bronfen ergänzt: „Wenn Brabantio das sagt, meint er damit: Das ist doch ein Ort, an dem man sich an die Gesetze hält! ‚This is Venice‘ heißt: Ich denke, ich bin mir hier meiner hegemonischen Macht sicher.“

Die Bearbeitung versucht herauszuarbeiten: Es geht eigentlich gar nicht um den „Mohren“ Othello und den Juden Shylock. „Shakespeare kannte keine Juden und höchstwahrscheinlich auch keine Schwarze. Das sind Fantasiegestalten. Genau wie Italien ein Fantasieort für ihn ist“, macht Bronfen deutlich. „Es geht um das System Venedig, das schlussendlich alle Figuren frisst. Es gibt keine Ausbruchsmöglichkeit.“ Und Gerstner: „Es ist ein System, das sich um sich selbst dreht. Wir haben es die Venedig-Maschine genannt. Es wird mit dem Geld gefüttert, das die Fremden in die Stadt bringen.“

Die Neuübersetzung und Bearbeitung habe großen Spaß gemacht, sei aber auch herausfordernd gewesen, versichern beide unisono. „Am Anfang waren wir erstaunt, wie gut sich die beiden Stücke verschränken lassen. Wir haben es als Spiegelungen gedacht: Längere Szenen spiegeln einander jeweils. Dann wurde uns allmählich klar, wie unterschiedlich die Sprache ist. Shylock als Witzfigur in einer derben Komödie - das geht heute nicht mehr. Und ‚Othello‘ ist teilweise von einer sehr komplexen Sprache geprägt. Wir mussten also sprachlich die Komödie rauf- und die Tragödie runterfahren, um sich auf einem Mittelton zu treffen“, sagt Bronfen. Sie ist Anglistikprofessorin an der Universität Zürich und hat sich seit ihrer Habilitation („Over her Dead Body: Death, Femininity and the Aesthetic“) immer wieder mit weiblicher Repräsentation in Literatur, Film und Theater beschäftigt. Den Außenseitern und den Frauen gilt auch diesmal das Hauptaugenmerk.

Gespiegelt werden „die beiden Vaterfiguren - der tote Vater von Portia, der wie ein Geist über allem wandelt, der Vater von Desdemona, Brabantio, der tatsächlich stirbt und als toter Vater auf der Bühne erscheint -, die beiden Außenseiter Shylock und Othello, und die beiden ‚Spielleiter‘ Jago und Portia. Gleichzeitig werten wir die drei Frauen auf: Desdemona, Jessica und Portia. Dabei schummeln wir ein bisschen, um den Frauen mehr Selbstermächtigung zuzusprechen. Wir haben nichts hinzugefügt, aber bestimmte Dinge verstärkt.“ Die drei Frauenfiguren stehen für unterschiedlichen Umgang mit der patriarchalen Macht und ihren Repräsentanten: „Desdemona rennt frontal an, scheitert krachend und stirbt. Jessica meidet die direkte Auseinandersetzung, stiehlt sich davon, wird aber nicht wirklich ankommen in dem für sie neuen System der christlichen Ehe. Portia begreift dagegen ganz genau, dass sie sich mit dem System Venedig arrangieren muss, um es zu verändern.“

Shylock und Othello, Jago und Portia werden zwar erstmals gemeinsam auf einer Bühne stehen, so weit gegangen, sie einander tatsächlich in Dialog treten zu lassen, sind die Bearbeiterinnen jedoch nicht. „Es sind parallel laufende Geschichten, zwischen denen man hin und her springt. Nicht so schnell allerdings wie in Fernsehserien, wo alle drei oder vier Minuten zwischen fünf oder sechs parallele Handlungssträngen gesprungen wird. Das war uns zu kompliziert. Am Theater braucht man größere Bögen“, sagt Bronfen.

Die Bearbeitung ging - nicht nur der Übersicht wegen, sondern auch aus rein zeitlichen Gründen - allerdings nicht ohne manche Verluste vonstatten, gibt sie zu: „Wir mussten jeweils 50 Prozent der Stücke streichen. Da muss man klare Schwerpunkte setzen. Wir haben etwa die ganze Sexualisierung und die diesbezüglichen eindeutigen Wortspiele gestrichen und auch die diesbezügliche Rivalität zwischen Othello und Jago. Wir wollten auf das Systemische hinaus, auf die Fragen von Geld und Gesetz und Unterdrückung und Aufbegehren. Und wir haben auch das Clowneske der Figuren und der Dramaturgie aus dem ‚Kaufmann‘ rausgenommen.“ - „Überhaupt haben wir die Personage reduziert. Es war nicht ganz einfach bei diesen ganzen venezianischen Männern zu entscheiden: Welchen braucht es denn wirklich?“, ergänzt Gerstner lachend, und Bronfen stimmt schmunzelnd ein: „Man kann ja viele von denen kaum voneinander unterscheiden...“ Dass dies jedenfalls nicht für die verbliebenen Rollen zutrifft, dafür werden sich u.a. Rainer Galke, Markus Hering, Roland Koch und Norman Hacker ins Zeug legen. Denn „This is Venice“ ist ein echtes Ensemblestück. Oder besser gesagt: zwei.

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