Karneval in Venedig: Gemischtes Shakespeare-Doppel an Burg
Reges Maskentreiben am Samstagabend im Wiener Burgtheater: General Othello kehrt mit einem Federbusch inklusive Beleuchtung von der Seeschlacht gegen die Türken heim, bei der anschließenden Siegesfeier schlagen gefährlich aussehende Latexmasken-Träger ordentlich über die Stränge, während schwarze Taftröcke und weiße Halskrausen sich um Contenance bemühen. Kein Zweifel: „This is Venice“.
Die Kulturwissenschafterin Elisabeth Bronfen und die Bühnenbildnerin Muriel Gerstner haben „Othello“ und „Der Kaufmann von Venedig“, die zwei in Venedig spielenden Stücke William Shakespeares, miteinander verschränkt. Nach diesem (inklusive Pause) dreieinhalbstündigen Abend weiß man: Der Rassismus in der auf sein gleiches Recht für Einheimische und Fremde stolzen Handelsmetropole ist kein Einzelfall, sondern hat Methode. Die Serenissima braucht die Fremden nur, um sich an ihnen zu bereichern. Am Ende verliert Shylock sein halbes und Othello sein ganzes Vermögen an den Staat.
„This is Venice“ beginnt zunächst mit „Othello“. Shylock kommt erst nach 40 Minuten erstmals zu Wort. Dann geht es meist im fliegenden Wechsel hin und her, sodass aus Nicht-Kennern der beiden Stücke wohl am Ende auch keine rechten Auskenner geworden sind. Mitunter stehen oder sitzen die beiden Protagonisten nebeneinander auf der Bühne, scheinen sogar das Wort aneinander zu richten - mehr als ein Gag ist das allerdings nicht. Ansonsten ist diese Verzahnung eine rechte Kopfgeburt, die funktioniert, ohne zu begeistern.
Neben der strukturellen Kritik am konservativen Machtapparat arbeitet die Spiegelung noch zwei Gemeinsamkeiten heraus: Mit Jago und Portia haben beide Stücke „Spielleiter“, die die Fäden in der Hand haben (Norman Hacker spielt den fiesen Intriganten genussvoll aus, Stacyian Jackson zeigt dagegen kühlen Kopf), und die Töchter Desdemona (vital und aufsässig: Marie-Luise Stockinger) und Jessica (sehr blass: Maresi Riegner) versuchen beide mit wenig Glück sich gegen den strengen väterlichen Willen zu emanzipieren.
Muriel Gerstner hat nicht nur an der Bearbeitung und Neuübersetzung mitgearbeitet, sondern auch ein Bühnenbild geschaffen, das mit Silberfädenvorhängen und einem drehbaren Laufsteg viel Raum für Spiel und Fantasie lässt. Akzente werden durch die vielen pointierten Kostüme von Pascale Martin (echte Venezianer tragen schwarzen Tüllrock, Außenseiter Shylock tritt dagegen im grauen Dreiteiler auf) und vor allem durch das vielköpfige Ensemble gesetzt, das durch die Drehbühne meist in Bewegung ist und an dessen Spiel man sich mitunter erst gewöhnen muss. Denn Regisseur Sebastian Nübling hat nicht nur viele szenische Ideen, sondern auch eine konzeptionelle Grundidee: Er verleiht der Komödie „Der Kaufmann von Venedig“ viele düstere, tragische Akzente, und er gibt der Tragödie „Othello“ immer wieder komische Momente und Szenen.
Höhepunkt dabei ist ein Schreiduell zwischen Othello und Desdemona, in dem sich das aufschaukelt, was sich später mörderisch entladen wird. Er brüllt „Taschentuch!“ und meint damit das Corpus delicti, das seine Frau der Untreue überführen soll. Sie hält „Cassio!“ dagegen, weil sie dem unrechtmäßig Degradierten aus Freundschaft einem Termin bei ihrem Mann verschaffen will. Das geht lange hin und her, sehr lange, denn keiner der beiden will nachgeben.
Roland Koch spielt Othello (der laut Text aus Aleppo stammt) mit Schnauzbärtchen und ohne Blackfacing als einen selbstsicheren, proletarischen Emporkömmling, der den fein gesponnenen Intrigen der Venezianer und dem Selbstbewusstsein seiner jungen Frau nicht gewachsen ist. Auch Itay Tiran als Shylock bleibt ein Fremdkörper in dieser Gesellschaft. Stur und stolz fordert er sein Recht. Die vorangegangenen Demütigungen, für die er mit dem Pfund Fleisch aus seines Schuldners Antonio (Dietmar König) Körper Rache nehmen will, zeigt das Stück nicht, dafür jene, die er dank Portias Tricksereien vor Gericht erleiden muss.
Von Rainer Galke bis Mehmet Atesci und Markus Hering und von Sylvie Rohrer bis Stefanie Dvorak ist eine ganze Riege hervorragender Burgschauspieler aufgeboten, denen zuzusehen es auch immer wieder eine Freude ist. Die Atemlosigkeit, die über der ganzen Unternehmung liegt, trübt diese Freude allerdings ebenso wie der nicht geringe gedankliche Aufwand, quasi ständig zwischen zwei Kanälen hin- und herschalten zu müssen.
Am Ende übernimmt Portia das Kommando und die Dogen-Würde und richtet ins Publikum die Abschlussfrage: „Seid ihr alle zufrieden? Are you contented, all?“ Die Angesprochenen gaben die Antwort auf ihre Weise. Der von einem einsamen „Buh“-Ruf begleitete Applaus war herzlich, aber durchaus endenwollend. Was nur bedeuten konnte: Forget Venice. This is Vienna.