Unheilbare Erkrankung: „Ich habe keine Angst“
Esteban Grieb ist einer von 30.000. Der 44-Jährige leidet unter der Friedreich-Ataxie. Der Tag der seltenen Erkrankungen soll Bewusstsein für Geschichten wie diese schaffen.
Von Nicole Strozzi
Innsbruck — Seit zehn Tagen ist Esteban Grieb 44 Jahre alt. „Wie schnell die Zeit vergeht", sinniert der gebürtige Argentinier, der in Steyr zuhause ist und jeden Tag seines Lebens genießt. Selbstverständlich ist das nicht, denn Grieb hat Friedreich-Ataxie, eine erblich bedingte, seltene und unheilbare Erkrankung des Nervensystems und anderer Organe. Nur ein Mensch unter 30.000 ist betroffen.
„Ich war 17 oder 18 und ein passabler Sportler. Irgendwann habe ich gemerkt, dass etwas nicht passt", erzählt der Oberösterreicher anlässlich des „Tages der seltenen Erkrankungen" an der Klinik Innsbruck. Kondition und Koordination ließen plötzlich nach, die Muskeln ermüdeten. „Zunächst vermuteten die Ärzte, es könnte eine Kinderlähmung dahinterstecken, weil meine Eltern beide betroffen sind", erinnert sich Grieb. Dann hatte man die Schilddrüse in Verdacht. Fünf Jahre dauerte es schlussendlich, bis der junge Mann die richtige Diagnose erhielt. Damals war er 23.
„Ich war so froh, dass die Krankheit endlich einen Namen hatte", sagt Grieb. „Die ersten Jahre waren ein Kampf. Doch dann dachte ich mir, das könne nicht alles vom Leben sein, und begann zu akzeptieren." Rund 2500 Patienten leben in Europa mit Friedreich-Ataxie. Während die Betroffenen keine geistigen Einschränkungen haben, lässt die Motorik mit der Zeit nach. In vielen Fällen sind Patienten in jungen Jahren auf den Rollstuhl angewiesen.
Grieb ist einer von 55 Patienten, die an der Klinik Innsbruck im ersten österreichischen Zentrum für seltene Bewegungsstörungen behandelt werden. Aktuell gibt es noch kein Medikament, das die Krankheit stoppen könnte. „Wir können nur versuchen, die Patienten körperlich so lange wie möglich stabil zu halten und ihnen das nötige Selbstvertrauen mitzugeben", sagt Zentrums-Leiterin und Oberärztin Sylvia Bösch.
Seit 17 Jahren sitzt Grieb nun im Rollstuhl. Die Krankheit zwingt ihn auch, etwas langsamer zu sprechen, doch seit etwa zwei Jahren ist sein Zustand gleichbleibend. Mit viel Sport und Aktivität versucht er der Ataxie die Stirn zu bieten. Nebenbei hat er ein Buch geschrieben („Aufgeben, was ist das?") und eine Selbsthilfegruppe gegründet und sich weltweit vernetzt. „Das Leiberl hier ist von unseren Selbsthilfe-Kollegen aus Australien", verrät der sportliche Mann. Auf dem Shirt prangt die Aufschrift „Lend us some muscles", also „Leihe uns ein paar Muskeln". Seinen Humor und sein Selbstbewusstsein dürfe man niemals verlieren, ist Grieb überzeugt. Der Austausch mit anderen Betroffenen ist dem 44-Jährigen enorm wichtig und gibt ihm das Gefühl, nicht allein zu sein. „Wir sind wie die X-Men. Sie kennen doch diese genmanipulierten Menschen aus dem Kinofilm", lacht Grieb.
Sehr selten: Tödliche Insomnie
Unter den seltenen Erkrankungen gibt es auch extrem oder ultraseltene Erkrankungen. Das heißt, nur einer von einer Million Menschen ist betroffen. Eine solche Krankheit ist die tödliche familiäre Schlafkrankheit. Sabine Rudnik, leitende Oberärztin am Zentrum für Medizinische Genetik, berichtet von einem Fall aus ihrer Beratung, bei dem die Mutter an der letalen familiären Insomnie gestorben ist.
Bei der Erbkrankheit, die nach ein bis zwei Jahren immer zum Tod führt, können Personen überhaupt nicht mehr schlafen, die geistige Leistungsfähigkeit nimmt immer weiter ab. Der Körper bricht zusammen.
Nur sechs Fälle sind weltweit bekannt. Das Vererbungsrisiko liegt bei 50 Prozent. „Die Tochter, die ihre Mutter bis zum Schluss gepflegt hat, verzichtet bewusst auf Kinder“, erzählt Rudnik. Die Frau ringe seit etwa einem Jahr damit, ob sie sich genetisch testen lassen oder lieber in der Ungewissheit leben soll.
Die Friedreich-Ataxie ist eine von 6000 bis 8000 verschiedenen seltenen Krankheiten. Eine Krankheit ist dann selten, wenn höchstens eine von 2000 Personen daran erkrankt ist. „In Summe ist die Zahl der Betroffenen aber hoch. Rund fünf der Bevölkerung sind betroffen, etwa 400.000 Menschen leben davon in Österreich", sagt Daniela Karall, Gründungsmitglied des ZSKI (Zentrum für Seltene Krankheiten Innsbruck). Das ZSKI ist ein virtueller Zusammenschluss von Experten, um gemeinsam solche Fälle besprechen und auch lösen zu können. Auch auf EU-Ebene sei man mittlerweile vernetzt. „Betroffene sollen möglichst schnell eine Diagnose erhalten", so Karall. Um mehr Bewusstsein zu schaffen, ist der 29. bzw. 28. Februar jedes Jahr für den Tag der seltenen Krankheiten reserviert. Das ZSKI veranstaltet am 28. Februar um 17:30 Uhr im großen Hörsaal der Frauen- und Kopfklinik einen Filmabend über die Erkrankung Morbus Pompe.
Esteban Grieb blickt indes optimistisch in die Zukunft. Angst habe er keine, sagt er. Höchstens Respekt. „Man kann nur schauen, was kommt." Selten einen so positiven Menschen getroffen.