Dokumentarfilm

„Aufzeichnungen aus der Unterwelt”: Gschichtln aus der Strizzi-Szene

Alois Schmutzer erzählt in „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ beim Heurigen vom Wien von früher.
© Vento Film

Der Dokumentarfilm „Aufzeichnungen aus der Unterwelt” von Tizza Covi und Rainer Frimmel kam bei der Berlinale zur Welturaufführung.

Von Marian Wilhelm

Berlin – „Eine Wiener Unterwelt hat’s nie gegeben.“ Das behauptet einer der Strizzis im österreichischen Dok-Film „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“, der diese Woche auf der Berlinale seine Weltpremiere feierte. Ein glatte Lüge, wie die Südtirolerin Tizza Covi mit ihrem Partner Rainer Frimmel in 115 Filmminuten zeigt. Wenn der Wienerlied-Sänger Kurt Girk und sein Freund Alois Schmutzer in Meidlinger und Ottakringer Heurigen ihre Gschichtln aus dem Wien der Nachkriegszeit auspacken, ist das ebenso nostalgisch wie hart. Immerhin geht es dabei auch um die verdrängten Nazi-Jahre, alte Kriegsverbrecher und Erinnerungen an den Suizid der jüdischen Vermieter in der Leopoldstadt.

Auch die Kieberer in den 60er-Jahren schreckten im Kampf gegen die frechen Glücksspiel-Kleinkriminellen nicht wirklich vor Willkür und Gewalt zurück. Das bekam auch Alois Schmutzer zu spüren, der lange Zeit unschuldig im Gefängnis saß. Seine Schwester berichtet von blutigen Revierkämpfen und Schießereien im Wiener Wilden Westen. Die Stimme von Kurt Girk ist mittlerweile verstummt, aber Alois Schmutzer kam zur Welturaufführung persönlich nach Berlin. Auf der Bühne demonstrierte er den Wiener Schmäh, der auch den nostalgischen Film trägt – und musste fürs Publikum via Englisch-Dolmetscher übersetzt werden. Auch die neue österreichische Kultur-Staatssekretärin schaute sich in Berlin die Geschichten über den „König der Wiener Unterwelt“ an.

Eine andere Art von Wiener Unterwelt porträtiert die junge Österreicherin Lisa Weber in ihrem Berlinale-Beitrag „Jetzt oder morgen“. Drei Jahre lang begleitete sie dafür eine Teenager-Mutter und ihre Familie. Im Gemeindebau-Alltag zwischen eigenem Erwachsenwerden und Mutterrolle, Arbeitslosigkeit und Familienstreitereien über Politik kommt es auch immer wieder zu interessanten Interaktionen mit der Regisseurin hinter der Kamera, die ihre Anwesenheit nicht verheimlicht.

„Jetzt oder morgen“ und „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ sind zwei ehrliche Dokumentarfilme aus den Wiener Unterwelten, die nicht vorgeben, dass ihre Kamera unsichtbar ist. Und Österreich beweist auf der Berlinale wieder einmal seine Dokumentarfilm-Stärke.