„Unheimlich nah": Flucht aus dem goldenen Käfig
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Zum Tode des Südtiroler Schriftstellers und Malers Georg Paulmichl.
Von Joachim Leitner
Innsbruck, Prad –Georg Paulmichl war, was der alltägliche Sprachgebrauch lange als „behindert“ abtat. Aber was heißt das schon? „Ich bin nicht behindert, ich kann reden“, hielt Paulmichl selbst dem Sprachgebrauch entgegen. So hat Bert Breit 1991 auch ein Fernsehporträt des Südtiroler Dichters und Malers überschrieben. Treibhaus-Chef Norbert Pleifer hat es am Donnerstag aus seinem Archiv geholt – und einen Auszug daraus online geteilt. Ergänzt hat Pleifer seinen Eintrag um eine Videobotschaft von Felix Mitterer, der ein Gedicht Paulmichls liest. Der Anlass ist ein beklagenswerter. Georg Paulmichl war wenige Stunden davor 59-jährig gestorben.
Georg Paulmichl wurde 1960 in Schlanders geboren. Ab 1977 besuchte er die Behindertenwerkstatt in Prad. Dort entdeckte der Kunsterzieher Dietmar Raffeiner die sprachliche Begabung des jungen Mannes: Es entstehen knappe, eigenwillige Texte – und zahllose Bilder. 1987 erscheint Paulmichls erstes Buch „strammgefegt“ – und wird ein großer Erfolg. 1990 folgt im Innsbrucker Haymon-Verlag „Verkürzte Landschaft“. Schnell wurden Paulmichls Texte auch für die Bühne bearbeitet – und international gespielt. Im Berliner Gorki Theater zum Beispiel, und am Schauspielhaus Bochum .
Paulmichls Arbeiten sprengen jedes Schema: kurze Prosaverdichtungen, randvoll mit teilnehmenden Beobachtungen und geschult an rituellen Phrasen – katholischen genauso wie touristischen. „Südtirol“, heißt es da, „ist ein Luftkurort zur Beatmung der Lungenflügel.“ Und in den Innsbrucker Gasthäuser, weiß Georg Paulmichl zu berichten, „kann man sich köstlich abspeisen lassen“, während in Rimini „Menschenhaut von der prallen Sonne überschattet“ werde. In seinem schelmischen Spott blieb er durchwegs freundlich. Über die Schützen etwa kann man in seinem 2008 erschienenen Buch „Der Georg“ nachlesen, dass sie ihre Freizeit bei einem gemütlichen Stutzen Bier verbringen. „Nachher sehen sie die Heimat doppelt.“ Das große Geheimnis von Paulmichls Texten: Auch sie haben einen doppelten Blick, sind manchmal absurd und meistens lustig, ohne dass etwas zwanghaft verblödelt wird. Lachen und Weinen über Zeit und Zustände liegen nah beieinander. Bisweilen überlagern sich Heiterkeit und existenzieller Ernst: „Ich werde nie sterben“, heißt es bereits im ersten Buch „strammgefegt“. Und weiter: „Einmal müssen alle sterben. Der Tod ist etwas Schreckliches. Nach dem Tod werde ich auferstehen. Im Himmel werde ich mit den Engeln beten.“ Sie sollten ihn auch dichten lassen, die Engel. Das hat noch jeden Ort zu einem besseren gemacht.