Folgen der Corona-Krise: Abgrund oder goldene Zukunft?
Die Corona-Krise lässt Abgesänge auf die globalisierte Welt ertönen. Mehr Unabhängigkeit in strategischen Bereichen wäre wünschenswert, sagt Volkswirt Exenberger, der Weg zurück in die Isolation gefährlich.
Von Gabriele Starck
Innsbruck –Die Welt legt eine Vollbremsung hin. Der Bremsweg ist lang, aber die Nadel am Tacho nähert sich dem Nullpunkt. Mobilität, Sozialleben, Wirtschaft – all das fällt der Bekämpfung des Coronavirus zum Opfer. Ist die globalisierte Welt am Ende?
Bundeskanzler Sebastian Kurz meinte Anfang der Woche: „Die Welt wird nachher anders aussehen, auch die Globalisierung wird in vielen Bereichen hinterfragt werden.“ Der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Gabriel Felbermayr, sah im Handelsblatt bereits Ende Februar die Wende in Richtung Deglobalisierung. Und die britische Times hört gar die Totenglocken für die Globalisierung läuten. Die TT sprach mit Wirtschaftshistoriker und Volkswirt Andreas Exenberger und wollte wissen, was er vom plötzlichen Abgesang auf die globale Welt hält.
„Wir doktern jetzt schon seit 30 Jahren herum – der 11. September, die Finanzkrise, die Krise mit den Flüchtlingen“, sagt er. Bislang ist das System zwar immer wieder in ein Gleichgewicht zurückgekehrt, aber es wurde immer instabiler. Und das verstärkt sich. Das zeigen für Exenberger die beiden Strömungen: auf der einen Seite die Populisten, auf der anderen die Future-Bewegung. Erstere setzen auf Isolation, die anderen auf verstärkte Kooperation. „In der Zwischenkriegszeit haben wir mit Isolation reagiert, und wir wissen, wie es ausgegangen ist“, verweist der Wirtschaftshistoriker auf den 2. Weltkrieg.
Was nach der Krise geschehe, hänge von den Entscheidungen ab, die jetzt getroffen werden. Seien es politische oder die persönlichen – etwa, ob man jetzt bei lokalen Händlern online bestellt. „Und vielleicht wäre es ja besser, bei den knappen Ressourcen zu kooperieren, statt alle Grenzen zu schließen“, gibt Exenberger zu bedenken.
Welche Wege letztendlich in den Abgrund, welche in die goldene Zukunft führen werden, könne jetzt noch niemand sagen. So sei trotz des Konjunktureinbruchs, der auch den USA bevorstehe, völlig offen, ob Donald Trump mit seiner Isolationspolitik bei der Präsidentschaftswahl im November tatsächlich untergehen wird.
Bei einigen Weggabelungen sieht Exenberger allerdings die Richtungspfeile aus den Erfahrungen vergangener Jahrhunderte schon gesetzt. Falsch wäre seiner Meinung nach etwa, „so weiterzuwursteln wie bisher“, ganz besonders in Europa.
Den Niedergang der Alten Welt sieht er zwar nicht zwingend, doch schönzureden gäbe es auch nichts. Wenn Europa sich jetzt nicht grundlegend umgestalte, in Richtung Kooperation miteinander und in der Welt, werde es langfristig sicher bergab gehen. Jetzt sei die Zeit zu reflektieren, um Schlüsse zu ziehen – „traurig genug, dass es dafür Krisen braucht“.
Laut dem Volkswirt benötigt es Entscheidungen. „Wenn wir nicht gestalten, werden wir gestaltet.“ Die globale Zusammenarbeit sei weiterhin wichtig, aber Europa müsse auch Lehren aus negativen Entwicklungen der Globalisierung ziehen – etwa, was es bedeutet, so stark vom Finanzsektor abhängig zu sein oder Produktion nach Asien verlagert zu haben. Für strategische Bereiche wie Medizinprodukte oder Grundversorgung brauche es die Stärkung regionaler Stränge. Europa müsse handlungsfähig bleiben als wissensbasierter, nachhaltig handelnder Wirtschaftsraum bzw. es endlich werden. „Unser System basiert darauf, dass wir uns mit Laptops und Handys vernetzen können. Erzeugt wird nur wenig davon hier.“
Exenberger warnt davor, sofort wieder in den Sparmodus zu schalten, sobald die Krise vorüber ist. „Wir brauchen mutige Entscheidungen. Schluss mit Subventionen für die Wirtschaft des 20. Jahrhunderts.“ Wohlstand dürfe nicht mehr nur über den Geldbeutel definiert werden. Miteinzurechnen ist auch das gute Leben, sprich, der soziale Zusammenhalt, die Umwelt und die Zukunftsfitness einer Gesellschaft. Entscheidend werde daher sein, wohin die staatlichen Milliardenhilfen fließen. Nicht nur bei der medizinischen, sondern auch bei der finanziellen Bewältigung der Krise sei Solidarität oberstes Gebot: „Wenn die Volkswirtschaft das Coronavirus gut überstehen will, muss die Massenkaufkraft stabil gehalten werden.“
Die Coronakrise als Chance zu bezeichnen, findet der Wirtschaftshistoriker übrigens unangebracht. Das habe man schon 2008 getan, die Gelegenheit dann aber verpasst. „Stattdessen hat man die selbstverschuldete Finanzkrise zur Staatsschuldenkrise werden lassen“, erinnert er.
Und wie wird Tirol aus der Krise aussteigen? Die Tourismus-Marke Tirol sei zweifelsohne beschädigt. Auch hier müsse bei der Hilfe unbedingt auf Fairness geachtet werden. Exenberger betont aber auch: Wichtigster Arbeitgeber und Abgabenzahler in Tirol sei die Industrie. Und den Großteil unserer Arbeitsplätze schaffen wir uns letztlich selbst.“ Positiv gesehen wird die Krise daher hoffentlich Dorfgemeinschaften stärken. „Wir alle können täglich mitentscheiden, ob es einen Bäcker oder einen Tischler im Dorf gibt“, sagt Exenberger.
Regionale Kreisläufe stärken also. Aber sind das nun die Totenglocken für die Globalisierung, wie das The Times kommentierte? Dass die Briten das befürchten, sei verständlich, sagt der Volkswirt: „Schließlich basiert das Geschäftsmodell des Brexit auf dem globalen System, wie es ist.“ Wenn aber die Globalisierung plötzlich von ungewohnter Seite hinterfragt werde, sei es ratsam zu prüfen, welche Interessen dahinterstecken könnten. Etwa, ob damit nicht sogar die europäische Zusammenarbeit in Zweifel gezogen wird.