„Einfluss überschätzt“: Zoller-Frischauf stellt Draht zu Touristikern in Abrede
Wirtschaftslandesrätin Patrizia Zoller-Frischauf (VP) warnt vor Tourismus-Bashing und stellt einen direkteren Draht der Touristiker zur Landespolitik in Abrede. Finanzminister Blümels Ankündigung wecke bei ihr „gemischte Gefühle“.
Der deutsche Ökonom Bofinger spricht allgemein bereits von einem „Komapatienten Wirtschaft“. Trifft das auch bereits auf Tirol zu?
Patrizia Zoller-Frischauf: Nein, auf keinen Fall. Wir stecken sicherlich in einer sehr schwierigen Situation. Es gibt Branchen, die haben einen Totalausfall, andere starke Umsatzeinbrüche. Es gibt aber auch eine Reihe von Industriebetrieben, die nach wie vor arbeiten und eine relativ gute Auftragslage haben. Das ist gut, weil es auch den Tag nach der Krise geben wird. Und da müssen wir uns dann rasch erholen.
Wie lange hält das die Tiroler Wirtschaft noch durch, bevor es zu irreparablen Schäden kommen wird?
Zoller-Frischauf: Das kann man so nicht beantworten. Wir sind zwar abgeschottet, aber immer noch indirekt abhängig vom Ausland. Wir wissen nicht, wie lange in unseren Nachbarländern die Krise dauern wird. Es ist aber eine Tatsache, dass die Wirtschaft schrumpfen wird. Das kann man nicht schönreden. Wir haben erst zwölf Tage dieser ganz harten Situation hinter uns gebracht. Wir dürfen nicht ungeduldig werden und die Flinte ins Korn werfen. Wir müssen diese Gesundheitskrise bewältigen. Das geht aber nur, wenn wir alle Sicherheitsvorkehrungen sehr ernst nehmen.
2017 hat allein die Tiroler Wirtschaft über 47 Milliarden an Umsatz und eine Bruttowertschöpfung von 16 Milliarden erzielt. Reichen da die 38 Milliarden vom Bund, davon eine Milliarde im Härtefonds, und die 400 Mio. des Landes aus, um die jetzigen Einbrüche zu kompensieren?
Zoller-Frischauf: Ich rede nichts schön, will aber auch keine Hysterie verbreiten. Wir müssen realistisch bleiben. Die Aussage „Koste es, was es wolle“ von Finanzminister Blümel habe ich mit gemischten Gefühlen gehört, weil sie Erwartungen geweckt hat, die man nur ganz schwer wird einhalten können. Wir werden alles tun, um unsere Unternehmer über diese Krise hinwegzuführen. Das heißt aber nicht, dass es nicht weh tun wird oder es nicht welche geben wird, die diese Krise nicht überleben.
Heißt das, dass das Land im Notfall das Tabu bricht, ans Familiensilber zu gehen? Also Anteile von Tiwag und den Wohnbaufördergeldern zu veräußern?
Zoller-Frischauf: Ganz sicher nicht. Das wäre der falsche Weg.
Der Tourismus ist untrennbar mit der Ausbreitung des Virus in Tirol verbunden. Tirol steht weltweit am Pranger, zu spät gehandelt zu haben. Gleichzeitig ist er ein zentrales wirtschaftliches Standbein. Rächt sich jetzt diese Abhängigkeit?
Zoller-Frischauf: Ich halte nichts davon, auf einen Patienten zu treten, wenn es ihm schon schlecht geht. Erinnern wir uns, wie viel Kraft uns der Tourismus in den Vorjahren gegeben hat. Der Tourismus hat dafür gesorgt, dass es uns noch vor ein paar Wochen sehr gut gegangen ist. Nahezu alle Branchen sind damit irgendwie verzahnt. Betreiben wir jetzt keine Kindesweglegung, nur weil uns etwas nicht gefallen hat. Wir brauchen den Tourismus auch in Zukunft. Natürlich müssen wir uns aber anschauen, wie wir ihn neu aufstellen.
Aber ist es nicht jetzt an der Zeit, die nachweislich hohe Einflusskraft des Tourismus auf die Politik zu hinterfragen und zu beenden?
Zoller-Frischauf: Dieser Einfluss wird überschätzt. Die Mitglieder der Landesregierung sind lange genug in der Politik, dass sie sich weder zu etwas überreden noch sich etwas ein- oder schönreden lassen. Jede Branche hat bei uns eine offene Tür.
Aber dem Tourismus wurde diese Tür schon immer gerne schnell und weit geöffnet.
Zoller-Frischauf: Das war vielleicht der öffentliche Eindruck. Das sehe ich nicht so.
Sind auch Sie der Meinung, dass hier Fehler sowohl in Ischgl und Sölden als auch im Einsatzstab des Landes passiert sind? Ist Seilbahnsprecher Franz Hörl denn noch tragbar?
Zoller-Frischauf: Das wird alles aufgearbeitet werden. Da wird es viele gescheite Leute geben, die ihren Senf dazugeben werden. Ich spare mir das. Vergangenheitsbewältigung können wir nachher machen. Meine Aufgabe ist jetzt eine ganz andere.
Apropos Bewältigung: Wird unsere Welt nach der Krise eine andere sein, oder wird – so wie nach der Finanzkrise 2008 – doch alles wieder beim Alten bleiben?
Zoller-Frischauf: Da bin ich skeptisch, ob die Welt eine ganz andere wird. Ich glaube nicht, dass kein Stein auf dem anderen bleibt. Ich hoffe aber, dass wir aus der Krise lernen.
Woraus sollten wir lernen?
Zoller-Frischauf: Wieso soll das Angebot in der Ferne stets das bessere sein? Auch die Digitalisierung muss noch viel stärker umgesetzt werden. Videokonferenzen sparen nicht nur Flüge, sondern auch Zeit ein. Da würden mir abendfüllend Dinge einfallen.
Ist eine Lehre auch, dass der Schwerverkehr eine Lebensader ist, ohne die wir jetzt nicht überleben würden? Muss Tirol seine Anti-Transit-Haltung überdenken?
Zoller-Frischauf: Natürlich ist das eine Lebensader. Wir müssen sie nur intelligenter gestalten. Güter müssen auf die Bahn. Ich hoffe, dass das jetzt auf europäischer Ebene wachrüttelt, auch unsere Nachbarn. Aber ohne Lkw werden wir sicher nicht auskommen. Das ändert dennoch nichts am Tiroler Weg.
Corona hat den Klimaschutz in den Hintergrund gedrängt, die Prioritäten haben sich verschoben.
Zoller-Frischauf: Man hat gewusst, dass über die Umwelt weniger gesprochen wird, sollte es zu einer Wirtschaftskrise kommen. So ist es jetzt. Aber diese Krise zwingt auch zum Nachdenken. Die Überspitzung des Umweltthemas wird vielleicht herausgenommen. Man wird das Thema mit mehr Hausverstand angehen. International gehören neue Regeln aufgestellt – in vielen Bereichen. Wenn wir die Umwelt von Grund auf schützen, kostet uns das im Nachhinein weniger.
Heißt das, dass Gelder, die jetzt in Tirol für den Klimaschutz reserviert sind, vorläufig in den Kampf gegen die Corona-Krise umgeleitet werden sollen?
Zoller-Frischauf: Das muss man sich genau anschauen. Bei manchen Umweltthemen übertreiben wir. Wie bei den Fischaufstiegshilfen – da geht es gleich um Millionen. Zuerst müssen wir schauen, dass wir die Menschen wieder in Arbeit bringen.
Mit Stand Freitag hatten wir über 35.600 Arbeitslose in Tirol. Wie groß ist die Gefahr, dass in vielen Tiroler Betrieben nach der Kurzarbeit weitere Kündigungswellen anstehen?
Zoller-Frischauf: Wir hoffen, dass das nicht notwendig wird. Die Angst ist natürlich da, weil die Liquidität viele vor Probleme stellt. Die Überbrückungskredite des Bundes waren hier ein sehr gutes Signal. Das Land übernimmt hierfür auch die Zinsen. Wir werden aber darauf schauen, wo es eventuell noch Lücken gibt. Viele Unternehmen versuchen gerade jetzt innovativ zu sein und in neue Segmente vorzustoßen, damit es nicht zu Kündigungen kommt.
Das abrupte, lange Zusammenleben auf engstem Raum bei Familien, aber auch die Vereinsamung bei Pensionisten – werden das Probleme, die es nach der Krise zu bewältigen gilt?
Zoller-Frischauf: Wir haben viele Hotlines aufgebaut. Alleinerziehende Mütter haben oft sehr große Belastungen zu tragen. Aber auch Eltern. Eine genaue Wochen- und Tagesplanung ist hier sehr wichtig. Struktur nimmt oft sehr viel Ärger aus den Familien heraus. Bei den Älteren gibt es zwei Gruppen: die, die sich an die Ausgangsbeschränkungen halten, aber einsam sind, und die anderen, die das immer noch negieren und selbst einkaufen gehen.
Wie groß ist Ihre Sorge, wenn es, wie manche befürchten, zu einer zweiten Viruswelle kommt?
Zoller-Frischauf: Experten sagen uns, dass das so kommen kann. Wir negieren diese Gefahr nicht, hoffen aber darauf, dass wir im Sommer eine Verschnaufpause bekommen. Ich kann nicht versprechen, dass in zwei Monaten wieder alles so sein wird, wie es war. Das wird so nicht funktionieren. Diese Geduld werden wir lernen müssen.
Das Telefon-Interview führte Manfred Mitterwachauer