„Geringes Übertragungsrisiko" am 16. März: Das sehr lange unterschätzte Virus
Obwohl Tirol bereits stillstand, stufte die Landessanitätsdirektion noch am 16. März das Übertragungsrisiko als gering ein.
Innsbruck – Für die Bevölkerung im Paznaun, in St. Anton und in Sölden war die Botschaft am Karfreitag eine ernüchternde: Die Quarantäne wird bis 26. April verlängert. Für Sölden könnte sie jedoch schon früher enden, wenn die Auswertung der offenen Tests ein besseres Bild als in den anderen Tourismushochburgen ergibt. Bei den 3000 schwerpunktmäßigen Tests – für Sölden sind erst 60 Prozent ausgewertet – lagen die positiven Ergebnisse bei bis zu 19 Prozent in Ischgl und bei 13 Prozent in St. Anton.
Für den Direktor der Klinik für Innere Medizin, Günter Weiss, ist dort „eine von fünf, sechs bis zehn Personen infektiös“. Deshalb wäre es aus seiner Sicht verantwortungslos, die Quarantänemaßnahmen zu lockern. Weiss geht davon aus, dass es nach Auftreten der ersten Fälle in Ischgl und St. Anton Anfang März schon eine große Ausbreitung der Infektionen gegeben habe. „Damals war Urlaubszeit, außerdem hat man das Desaster in diesem Ausmaß noch nicht gekannt.“ Auch wegen der schwachen Symptome. „In der kalten Jahreszeit sind eine leichte Verkühlung, Halsschmerzen oder Husten ja nichts Außergewöhnliches.“
Für Landeshauptmann Günther Platter lässt die medizinische Expertise aktuell keine Öffnung zu. Er bat die Bevölkerung in den betroffenen Regionen um Verständnis. „Wir wissen um die besondere Situation für die betroffenen Regionen. Und wir wissen auch, dass dies für die Menschen eine große Belastung ist.“
Wie es mit Sölden weitergeht, werde die Auswertung der noch ausständigen Proben ergeben, betont die Direktorin der Sektion für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie der Medizinischen Universität Innsbruck, Cornelia Lass-Flörl. In zehn Tagen wird in den Quarantänegebieten eine zweite, umfassende Testreihe gestartet.
Informationsschreiben der Landessanitätsdirektion veröffentlicht
Was seit Freitag jedoch für Verwunderung sorgt, ist ein am 16. März verfasstes Informationsschreiben der Landessanitätsdirektion. Es wurde jetzt (!) im Mitteilungsblatt der Stadt Kitzbühel veröffentlicht. Bekanntlich hat das Land Tirol bereits am Sonntag, 15. März, eine polizeilich kontrollierte Ausgangssperre verhängt. Wegen der großen Ansteckungsgefahr. Und was schreibt die Landessanitätsdirektion einen Tag später? Da heißt es auf die Frage, wie das Virus übertragen werde: „Nach bisher vorliegenden Informationen besteht die Möglichkeit einer Mensch-zu-Mensch-Übertragung durch eine Tröpfchen- oder Schmierinfektion. Das Übertragungsrisiko von Mensch zu Mensch ist relativ gering und liegt nach derzeitigem Informationsstand etwas höher als jenes der Influenza. Vergleichsweise sind Masernviren 5–7x leichter übertragbar.“
Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg meinte zur Einschätzung der Landessanitätsdirektion, dass das Land Tirol sehr wichtige Maßnahmen getroffen habe. Kommentieren wollte er das Schreiben allerdings nicht. Landeshauptmann Günther Platter wurde auf Nachfragen hin schon konkreter. „Aus heutiger Sicht müssen zu diesen Aussagen gravierende Korrekturen vorgenommen werden, das müssen wir auch tun.“ (pn, mas)