75 Jahre Befreiung: Überlebender beschwört Solidarität
Daniel Chanoch ist am 4. Mai 1945 aus dem KZ Gunskirchen befreit worden. Da war er 12 Jahre alt. Bis heute sieht es der 88-Jährige als seine Pflicht, zu erzählen, was damals passiert ist. Wegen des Coronavirus findet die sonst in Mauthausen abgehaltene Befreiungsfeier virtuell statt, im APA-Telefoninterview sprach Chanoch über wichtige Solidarität und sah die Demokratie in Europa in Gefahr.
Daniel Chanoch wuchs in Litauen auf, 1941 wurden er und seine jüdische Familie nach Deutschland gebracht, er überlebte sechs Konzentrationslager. Über seine letzte Station in Gunskirchen, einem vom 49 Nebenlager von Mauthausen, sagt er: „Es war der schrecklichste Platz. Ich kam Mitte April ins Lager nach Gunskirchen. 20.000 Leute kamen an, im Mai bei der Befreiung waren 5.000 übrig“. Danach gelangte er auf einem illegalen Boot nach Palästina, machte die Schule fertig und studierte vier Jahre in Kalifornien. „Ich hatte wirklich Glück, weil ich mich gut entwickelt habe nach dem Ganzen.“
Heute lebt er in einem Ort zwischen Tel Aviv und Jerusalem, mit einem Garten in den Weinbergen und Olivenbäumen. „Ich bin alt und darf nicht weit weg vom Haus gehen“, sprach er die Coronakrise an, aber es seien sonnige, freundliche Tage. „Das Leben ist ein Geschenk, das man einmal bekommt, man soll es sinnvoll nützen und nicht vergeuden.“ Jungen Leuten möchte er sagen, „das Wichtigste ist, die Demokratie zu schützen und die Menschenrechte, altruistisch zu sein und nicht nur an sich selbst zu denken“.
1980 kam er erstmals wieder nach Gunskirchen. „Da wollte niemand etwas wissen von den schrecklichen Dingen.“ Von dem Camp seien noch ein paar Baracken gestanden, aber keine Erklärung zu dem, was dort geschah. „Es ist unsere Pflicht, ein Memorial zu schaffen, die Geschichte zu erzählen“, habe er damals gesagt und sich mit dem Mauthausen Komitee dafür eingesetzt. „Jetzt gibt es einen Gedenkstein neben dem Eingang und wir (Überlebende aus dem KZ, Anm.) kommen jedes Jahr um den 4. Mai.“ Wenn man hineingeht, solle man daran denken, dass Leute zu foltern oder zu töten nichts Gutes bringe.
Aus der Stimme des 88-Jährigen ist keine Verbitterung zu hören. „Ich hasse niemanden, es ist ein Fehler das zu tun“, sagt er. Umso wichtiger ist es ihm, seine Geschichte in Schulen zu erzählen, das sei seine Pflicht, so der zweifache Vater und Großvater. „Ich kann etwas hinzufügen zum Geschichte-Unterricht, etwas, das die Welt nicht wiederholen sollte, schreckliche Dinge.“ Er habe alles mit eigenen Augen gesehen. Österreich ist für Chanoch mehr Mittäter als Opfer. „Österreich war nicht so freundlich zu uns. Als wir von Mauthausen nach Gunskirchen marschiert sind, hat es niemand riskiert, uns ein Stück Brot zu geben. Ich weiß nicht, warum sie uns so gehasst haben.“
„Ich erinnere daran, dass 80 Millionen Deutsche an einen verrückten, dummen Mann geglaubt haben. Es ist unvorstellbar, wie gebildete Leute diesem Wahnsinnigen folgen konnten“, aber da komme wohl die deutsche „Befehl ist Befehl“-Mentalität ins Spiel. Damit das nicht mehr passiert, brauche es Bücher, Gedenkstätten, mehr Treffen mit Überlebenden, die noch da sind, die Geschichte lehren.
Auch zur Gegenwart äußerte sich der Zeitzeuge. „Jetzt haben wir Corona und keine Möglichkeit es zu stoppen. Wir müssen uns zusammentun, sind alle demselben Desaster ausgesetzt“. Chanoch fürchtet, dass Hass, Rassismus und Antisemitismus wieder stärker werden. „Die Demokratie in Europa ist in Gefahr, in Ungarn, Polen, in Österreich. Der rechte Flügel ist auch in Italien stark. Das fängt an, wieder überall zu wachsen. Wir müssen etwas dagegen tun“, warnt er.
Chanoch ist seit 1980 als Zeitzeuge tätig, „50 Millionen Menschen sind gestorben, das sollte in Erinnerung bleiben“. In seinem neuen Buch, das er noch heuer in Österreich vorstellen will, gehe es um Solidarität und Altruismus, „wie man die Welt besser macht, das ist unsere Pflicht“, kündigte Chanoch an. Auch der gerade entstehende Film „A boy‘s life“ der Filmproduktionsfirma blackbox erzählt die Geschichte des 88-Jährigen, der sich in den Dienst gegen das Vergessen gestellt hat.