Forderung nach Lockerung der Maßnahmen in Italien
Der italienische Premier Giuseppe Conte, der eine minimale Lockerung der Ausgangssperre und des Produktionsstopps ab kommendem Montag angekündigt hat, steht zunehmend unter Druck. Mehrere Regionen - vor allem die vom Coronavirus am wenigsten betroffenen - fordern „mutigere“ Schritte in Richtung Normalisierung und die Wiederbelebung der schwächelnden Wirtschaft.
Conte rief am Donnerstag seine Landsleute zu Zusammenhalt auf. Die Epidemie sei noch nicht zu Ende. „Ich sage es deutlich, auch wenn das unpopulär ist: Die Regierung kann keine sofortige Rückkehr zur Normalität garantieren“, sagte Conte.
Schutz der öffentlichen Gesundheit sei das oberste Gebot der Regierung. „Wir können nicht zulassen, dass die bisher geleisteten Opfer von unvorsichtigem Verhalten in dieser neuen Phase zunichte gemacht werden. Die Zeit, alles wiederzuöffnen, ist noch nicht gekommen“, sagte der parteilose Premier in einer Ansprache vor dem Parlament.
Im Mai sollen landesweit 150.000 Antikörper-Tests durchgeführt werden. „Sollte die Zahl der Infektionen steigen, müssen wir zur Ergreifung restriktiver Maßnahmen bereit sein“, warnte Conte.
Ab Montag werde die Regierung einige Maßnahmen lockern. „In dieser Phase werden wir mit dem Virus zusammenleben müssen, denn das Covid-19 ist nicht ausgemerzt“, erklärte der Regierungschef.
Conte kündigte die baldige Verabschiedung eines dritten, milliardenschweren Hilfspakets mit Unterstützungsmaßnahmen für Unternehmen und Familien an. Damit soll auch Kurzarbeit finanziert werden. 15 Milliarden Euro dienen der Stützung von schwer betroffenen Wirtschaftssektoren, darunter Tourismus und Gastronomie. Mit über 270.000 Todesopfern ist Italien eines von der Coronavirus-Epidemie weltweit am stärksten betroffenen Länder.
Die Lombardei, Venetien und Piemont - Italiens Wirtschaftsmotor - verschärften zuletzt den Druck auf die Regierung Conte für eine umfangreichere Neuaufnahme der Produktion nach Ende des Lockdowns am Sonntag. Die Lombardei plant einen gestaffelten Neustart produktiver Aktivitäten ab Montag. So soll die Arbeit nicht auf fünf, sondern auf sieben Tage mit unterschiedlichen Zeiten verteilt werden. Damit will man Stoßzeiten und Andrang in den öffentlichen Verkehrsmitteln vermeiden, erklärte der lombardische Präsident Attilio Fontana. Die Wiederaufnahme der Produktion soll unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen und unter Einhaltung sozialer Distanz erfolgen.
Ähnlicher Ansicht ist der Präsident des Piemonts Alberto Cirio. „Italien muss neu starten, das benötigen unsere Familien, die Unternehmen und unsere Regionen. Wir sind uns der Gefahren bewusst, doch wir müssen zu einer neuen Form der Normalität zurückfinden“, sagte Cirio. Auch Trentino Südtirol und Friaul streben eine frühzeitige Aufnahme wirtschaftlicher Tätigkeiten an. Einheitliches und strenges Vorgehen war in der akuten Corona-Phase wichtig, in der jetzigen Phase könne man die Wirtschaft wieder in Bewegung bringen.
Die süditalienische Region Kalabrien lockerte bereits ab dem (heutigen) Donnerstag ihre Maßnahmen. So können Bars, Restaurants, Pizzerien und Zuckerbäckereien mit Tischen im Freien wieder aufmachen, was laut der Regierung eigentlich erst am 1. Juni erfolgen sollte. Wichtig ist dabei, dass der Abstand eingehalten wird und Hygienemaßnahmen ergriffen werden. Auch Märkte im Freien dürfen wieder öffnen.
Die Regierung bleibt indes hart. Sie will alle Bestimmungen anfechten, die mit den Regierungsverordnungen nicht übereinstimmen. Die Epidemiekurve sei zwar rückgängig, das Coronavirus sei jedoch nicht besiegt. Daher müsse Italien noch mit größter Umsicht vorgehen, um ein Wiederaufflammen der Seuche zu verhindern.
Ab kommendem Montag können Industrie und Bauwirtschaft die Tätigkeit wieder aufnehmen. Museen und Bibliotheken öffnen ab dem 18. Mai. Kleinhandel, Gastronomie und Friseure und Tourismus müssen bis zum 1. Juni zum Neustart warten.
Die Regierung gab am Donnerstag grünes Licht für den Einsatz einer App, die bei der Eindämmung des Corona-Virus helfen soll. Einen entsprechenden Beschluss fasste das Kabinett in Rom in der Nacht auf Donnerstag.
Die Nutzung der Corona-App durch die Bürger soll freiwillig sein. Das heißt, jeder entscheidet selbst, ob er die Anwendung auf sein Smartphone herunterlädt. Die Daten sollen zudem anonymisiert verarbeitet werden. Eine Geo-Lokalisierung werde es nicht geben, hieß es.
Die Regierung von Ministerpräsident Giuseppe Conte hatte im Vorfeld mehrfach betont, dass Rom mit der Corona-App hohe Datenschutz-Vorgaben erfüllen wolle. Kritiker befürchten, dass gesammelte Daten auch missbraucht werden könnten.
Eine solche App soll dabei helfen, schnell zu erfahren, ob man sich in der Nähe eines Corona-Infizierten aufgehalten hat. Damit solche Systeme gut funktionieren, ist es in der Regel wichtig, dass möglichst viele Menschen mitmachen. Wenn jemand sich mit dem Virus angesteckt hat, kann das System Daten über die engeren Kontakte in jüngerer Zeit liefern. Infektionsketten sollen damit schneller unterbrochen werden.
Die Regierung in Rom hatte im Vorfeld mitgeteilt, dass Italien die App „Immuni“ des Mailänder Unternehmens Bending Spoons nutzen will. Sie arbeitet den Angaben zufolge mit der Bluetooth-Technologie. Die Datenspeicherung werde genau kontrolliert, hieß es. Italien ist mit inzwischen fast 27.700 Corona-Toten besonders hart von der Lungenkrankheit getroffen. Ab 4. Mai sollen die Corona-Beschränkungen allmählich gelockert werden und die App soll in dieser neuen Phase zum Einsatz kommen.