Geheimtipp

Katie Stelmanis: Grandezza auf dem Dancefloor

Austra veröffentlichte 2011 ihr Debüt. Schnell entwickelte sich die Kanadierin zum Indie-Geheimtipp.
© Virginie-Khateeb

Hymnen ohne Emo-Kitsch: Die kanadische Musikerin Austra meldet sich mit ihrem vierten Studioalbum zurück. Nach der Politik bleibt ihr noch die Liebe.

Von Barbara Unterthurner

Innsbruck –Zuerst musste sie sich von allem frei machen, um überhaupt weiterzumachen. Die kanadische Musikerin Austra hat sich von ihren Nächsten getrennt: von ihren Bandkollegen, den Co-Produzenten, ja sogar ihrer Langzeitfreundin. Warum? Sie hatte sich in eine Art Sackgasse manövriert, hatte den Glauben in die eigenen Ideen verloren, lässt Sängerin Katie Stelmanis wissen. Deshalb die Veränderung, besonders das Loslassen auch auf privater Ebene. Hier hatte sich Stelmanis in eine so genannte toxische Beziehung verrannt.

Mit „You make me so angry, I love you, I love you“ beginnt nun das vierte Studioalbum von Austra, auf dem die Erfahrungen, die sie an der Seite ihrer Ex-Partnerin gemacht hatte, singend verarbeitet. Am vergangenen Freitag wurde „Hirudin“ veröffentlicht.

So naturwissenschaftlich erklärte sich schon lang kein Albumtitel mehr: „Hirudin ist ein Gemisch chemisch sehr ähnlicher Polypeptide aus dem Speichel des medizinischen Blutegels mit blutgerinnungshemmenden Eigenschaften“, lehrt uns unser Lieblingsonlinelexikon. Für Stelmanis eine perfekte Analogie zu einer Beziehung, in der keine Balance besteht, in der einer stetig ausgesaugt wird. „Hirudin“ ist der Stoff, der diesen Vorgang möglich macht und zugleich aber auch heilend wirkt.

Ein erstes Antesten der „neuen“ Austra gab es bei „Risk It“, einem schön seltsamen Dancetrack, der vorab Anfang Februar veröffentlicht wurde. „Risk it“ steckt noch mitten im Anfang des Beziehungsendes fest, riskieren will das Ich lieber noch nichts: „I’m struggling to keep you left of me, It’s slowly killing me“ ächzt es. Und der Hörer leidet mit – die ehrlichen Zeilen driften dennoch nie in den Emo-Kitsch. Erst im tief verletzten „All I Wanted“, das auf dem Album erscheint, scheint Aufbruch ins Neue fix: „It doesn’t matter if you’re sorry now, cause I’m leaving tomorrow“.

Nach der Politik bleibt jetzt die Liebe

Stilistisch ist „Risk It“ noch der perfekte Brückenschlag zu dem Sound, der Austra in der Indie-Szene bekannt machte. 2011 veröffentlichte die Kanadierin mit lettischen Wurzeln mit zwei Bandmitgliedern ihre erste Platte „Feel It Break“ und vermischte darauf ihren sauberen, klassisch geschulten Sopran mit verspieltem Elektropop. Als Bandname diente der zweite Vorname der Frontfrau. Austra brachte in Florence-Welch-Manier etwas Grandezza auf den Dancefloor. Austra wurde damit zum Geheimtipp, der weit über den großen Teich herüberstrahlte.

Vor drei Jahren erschien „Future Politics“, das der eingeschlagenen (Musik-)Richtung folgte und sich dafür thematisch in politische Utopie träumte, Machtstrukturen verhandelte, die Gesellschaft heute prägen. Nach der Politik bleibt jetzt die Liebe: „Hirudin“ zeigt nach innen.

Die elf neuen Songs von Austra sind nach wie vor elektronisch geprägt, da werden Stimmen auch mal absurd hochgepitcht („Risk It“), dort scheint ein analoger Zugang durch: in zwei instrumentalen „Interludes“ macht sich etwa die Zusammenarbeit mit dem Impro-Trio C_RL bemerkbar, in „Mountain Baby“ tritt gar ein Kinderchor auf.

Elektropop Austra:

Hirudin. Domino Records

An anderer Stelle geben die altbewährten Synthesizer („Anywayz“) den Ton an, treiben Beats und Basslinien voran. Austras Songs sind auch im kleinen als Hymnen angelegt, klassische Popstrukturen werden dennoch bedient, was „Hirudin“ als Ganzes ungemein kurzweilig macht.

Gesteigert wird die Dynamik bis zum erlösenden „Messiah“, das sich in Chören, Gospelklängen jäh endet. Nach 33 Minuten ist die Verarbeitung vorbei. Ruhe. Wieder Platz für Neues.

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