Muttersein: Ein Gefühl, schwer zu beschreiben
Familien haben sich sehr verändert. Am heutigen Muttertag werden die Frauen vor den Vorhang geholt. Drei Mütter erzählen von unsichtbaren Kindern, schlaflosen Nächten, Zweifeln, es richtig zu machen, und dem Glück, das das Herz flutet.
Von Alexandra Plank
Innsbruck — Es gibt wirtschaftliche Berechnungen, was eine Mutter verdienen müsste, wenn sie alle ihre Tätigkeiten in Rechnung stellen würde. Für einen 40-Stunden-Job veranschlagt, kommt man auf rund 6000 Euro.
Christine Geserick, Familiensoziologin am Österreichischen Institut für Familienforschung (ÖIF) an der Universität Wien, sieht den Muttertag und die Heraushebung der besonderen Rolle der Frauen auch kritisch (siehe Interview unten).
Die große Herausforderung für Mütter sei, sich nicht auf die Mutterrolle reduzieren zu lassen. „Eine Mutter ist nicht nur Mutter, sondern ein eigenständiger Mensch mit Wünschen und kreativen Ideen, die nicht nur ihre Kinder betreffen, sondern auch die Partnerschaft, den Freundeskreis und berufliche Ziele." Bei Letzteren mangle es oft an Aufstiegschancen in der freien Wirtschaft, weil manche Positionen nicht als Teilzeitjob angeboten werden. „Alleinerzieherinnen haben es noch mal schwerer", hält Geserick fest.
Lisa Pohl und ihre Lebensgefährtin Stefanie Mair sind seit Kurzem dreifache Mütter. Pohl, die sich zwei Jahre ganz dem Nachwuchs widmen will, würde sich oft mehr Wertschätzung für die Mütter wünschen. „Der Feminismus hat viel für die Frauen erreicht, oft fühlt man sich aber unter Druck gesetzt, weil die Rolle als Mutter gesellschaftlich wenig Anerkennung hat. Es gibt auch das Recht der Kinder, die brauchen einen in den ersten Jahren besonders." Was Muttersein für sie bedeute, könne sie schwer in Worte fassen. Natürlich würden einem die Mühen einfallen: durchwachte Nächte, Sorgen, wenn das Kind krank ist. All das werde jedoch aufgewogen durch das Wunder, die Kindern dabei begleiten zu dürfen, wie sie sich entwickeln.
Mütter sind nicht perfekt und haben oft Zweifel. Davon kann auch die vierfache Mutter Marion Wex ein Lied singen. „Oft muss man schimpfen, damit der Laden läuft. In unserem Sechs-Personen-Haushalt wohnt zudem ein unsichtbarer Siebter, der offenbar dafür verantwortlich ist, wenn etwas schiefgeht", erzählt sie lachend.
Sie ist als Polizistin in Teilzeit und Bürgermeisterin auch beruflich sehr eingespannt. „In den vergangenen drei Jahren, seit ich Bürgermeisterin bin, habe ich meiner Familie viel abverlangt. Mittlerweile sagen die Teenager aber: ,Hast du keine Sitzung?', wenn ich abends daheim bin." Ihre 15-jährige Tochter habe ihr anlässlich des runden Geburtstages auf Facebook gratuliert und sie als Oberhaupt der „Firma Wex" bezeichnet, als Freundin, Mutter und Ladestation. Auch wenn man ihr den letzten Nerv raube, würde sie die Wäschestreiks binnen Tagen beenden. Diese Liebeserklärung mache sie stolz, sagt Wex, weil sie zeige, dass sie viel richtig gemacht habe. Wichtig sei ihr auch, dass die Kinder sich gut benehmen.
Zahlen und Fakten zum Thema Familie
📍 Ehen. In Österreich gab es 2018 rund 2,38 Millionen Familienhaushalte. In rund 18 Prozent der Privathaushalte lebten in Österreich mindestens 4 Personen. Die Anzahl der Eheschließungen lag 2018 mit 46.468 auf dem höchsten Stand der letzten zehn Jahre.
📍 Gleichbehandlung. 464 eingetragene Partnerschaften wurden 2018 in Österreich geschlossen. 2010 trat das Gesetz zur eingetragenen Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare in Kraft. Seit 2019 dürfen diese auf dem Standesamt heiraten; unterschiedliche Regelungen für verschieden- und gleichgeschlechtliche Paare, wie bei der Adoption, wurden aufgehoben.
📍 Geburten. Die Bundesländer Wien und Tirol hatten den höchsten Geburtenüberschuss, die Steiermark und Niederösterreich die stärksten Geburtendefizite. Die Fertilitätsrate betrug 1,48 Kinder pro Frau.
📍 Bedeutung. Eine Umfrage aus dem Jahr 2015 zeigte, dass Geborgenheit, Liebe und Zusammenhalt am häufigsten mit dem Begriff Familie assoziiert wurden, Kinder dagegen weniger oft.
Damit ist sie nicht allein. Laut einer 2018 durchgeführten Umfrage sind Eltern bei der Erziehung besonders bei der Vermittlung guter Manieren und von Verantwortungsgefühl gefordert. Daneben ist das Heranführen an elektronische Medien ein Punkt.
Familien macht zu schaffen, dass die Berufswelt Einzelpersonen beschäftigt und Familien nicht mitdenkt. Generell ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei der Jobwahl für 90 Prozent der Arbeitnehmer wichtig bis sehr wichtig. Allerdings sieht nur ein geringer Teil eine gute Kombination der Lebensaspekte gegeben. Die Mütter bleiben mehr gefordert. Die Väterkarenz halten nur 11 Prozent der Österreicher für gesellschaftlich sehr akzeptiert.
Eines steht fest: Mütter und Kinder verbindet lebenslang eine ganz besondere Beziehung, wie sie ein alter Witz beschreibt: „Drei Mütter prahlen. Sagt die erste: Mein Sohn hat mir einen Mantel gekauft. Sagt die zweite: Mein Sohn hat mir einen Urlaub spendiert. Sagt die dritte: Mein Sohn geht jede Woche zum Psychiater und spricht nur von mir. — Schönen Muttertag!"
Muttertag auch kritisch sehen
Laut Familiensoziologin Christine Geserick, Institut für Familienforschung, stärkt der Muttertag viele vorhandene Klischees.
Wie sehr hat sich das Bild der Familie binnen 80 Jahren (einem Lebensalter) geändert?
Christine Geserick: Damals dominierte das Idealbild der bürgerlichen Kleinfamilie. Bezogen auf die Geschlechterrollen galt es als erstrebenswerter „Luxus“, dass eine Familie mit dem Einkommen des Mannes genug Geld hatte, sodass die Frau zu Hause bleiben konnte, um sich dem Haushalt und den Kindern zu widmen. Mittlerweile gilt eher die Idealvorstellung, dass beide Elternteile einer sie erfüllenden beruflichen Tätigkeit nachgehen und sich gleichberechtigt um die Kinder kümmern.
Was waren die entscheidenden Neuerungen?
Geserick: Der weibliche Lebenslauf hat sich stark gewandelt und zeitgleich das Bewusstsein, was Frauen – neben dem „Muttersein“ – noch aus dem Leben machen wollen. Das liegt an den neuen beruflichen Chancen, die die Bildungsexpansion der 1960er brachte. Die durchschnittliche Lebenserwartung hat sich erhöht, sodass vor allem in der nachelterlichen Phase (wenn die Kinder aus dem Haus sind) mehr Zeit bleibt, sich neben dem „Dasein für die Familie“ anderen Themen zu widmen.
Wie sehr ist das Bild Vater-Mutter-Kinder heute noch in den Köpfen verankert?
Geserick: Im Sinne einer Idealvorstellung hat es sich kaum geändert, es ist immer noch ein weit verbreiteter Wunsch, in einer intakten Partnerschaft und mit Kindern zu leben. Neu ist jedoch, dass auch andere Familienformen neben der so genannten Kernfamilie akzeptiert sind und rechtlich stärker berücksichtigt werden, wie etwa gleichgeschlechtliche Paare, die ein Kind adoptieren dürfen.
Ist die partnerschaftliche Elternschaft gelungen, oder bleibt die Mutter auch weiterhin der Ankerpunkt der Familie?
Geserick: Genau genommen gab es in der klassischen bürgerlichen Kleinfamilie (Vater-Mutter-Kinder) zwei Ankerpunkte: Die Mutter war für die emotional-soziale Fürsorge hauptverantwortlich, der Vater für das finanzielle Wohl. Diese beiden Zuständigkeiten vermischen sich heute: Viele Mütter sind erwerbstätig, viele Väter verbringen mehr Betreuungszeit mit den Kindern. Deshalb kann man den Muttertag kritisch sehen, sowohl als Mutter wie als Vater: Jährlich wiederholt er das Bild, dass die Mutter eine besondere Rolle innerhalb der Familie hat, die sie kaum aufkündigen kann – und die der Vater nicht ausfüllen kann.