Rendi-Wagner rechnet in der Corona-Krise mit dem Neoliberalismus ab
„Die Ideologie der Neoliberalen und Konservativen wurde durch die Corona-Krise in die Mottenkiste befördert“, befand die SPÖ-Chefin.
Von Serdar Sahin
Wien – Seit 130 Jahren findet der Maiaufmarsch nun statt. Am „Tag der Arbeit“ marschieren Sozialdemokraten normalerweise in der Wiener Innenstadt auf. Rote Spitzen halten Reden am Rathausplatz, Genossen schwenken Fahnen. Doch diesmal war alles anders. Wegen der Coronavirus-Pandemie musste die SPÖ gestern ihre Feierlichkeiten virtuell begehen.
Auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner musste das. Scharf kritisierte sie dabei die ÖVP und den Neoliberalismus. „Das Virus hat einen Schlussstrich unter der jahrzehntelangen Erzählung der Konservativen, der Erzählung der Marktversessenheit und der Gesellschaftsvergessenheit gezogen“, befand Rendi-Wagner. Der 1. Mai stehe für „Solidarität, Zusammenhalt und mehr soziale Gerechtigkeit“ – diese „Werte“ seien so aktuell wie lange nicht mehr.
„Die Krise hat uns vor Augen geführt, wie sehr wir aufeinander und auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt angewiesen sind und wie sehr wir einen starken Sozialstaat und ein gut organisiertes öffentliches Gesundheitssystem brauchen.“
📽 Video | Virtuelle Botschaften am 1. Mai:
Dieses System werde von den Konservativen und der ÖVP seit Jahrzehnten angriffen – „der Sozialstaat wurde diffamiert“. Mit der Pandemie sei aber „das neoliberale, konservative Modell gescheitert“, konstatiert die SPÖ-Chefin. „Die Ideologie der Neoliberalen und Konservativen wurde durch die Corona-Krise in die Mottenkrise befördert.“ Jetzt würden viele Stimmen nach einem schützenden Staat und Solidarität laut. Aber: „Solidarität ist mehr als das Klatschen für die ‚Helden des Alltags‘ und mehr als Danksagungen auf sechzig, siebzig oder mehr Pressekonferenzen der Regierung“, kritisierte Rendi-Wagner. „Ein stabiles, belastbares Gesundheitssystem und ein funktionierender Sozialstaat sind nicht auf Knopfdruck verfügbar, sie sind das Ergebnis jahrzehntelanger politischer Arbeit.“
Rendi-Wagner sieht Österreich und Europa nun in einer „Zeitenwende“. Ein Neustart sei nötig. Drei Punkte hat sie dafür: Der Sozialstaat müsse weiter ausgebaut werden. Das Arbeitslosengeld soll von derzeit 55 auf 70 Prozent der Nettoersatzrate erhöht werden, fordert Rendi-Wagner erneut. Zudem soll die Arbeitszeit auf 30 Wochenstunden reduziert werden. Die letzte Verkürzung habe es vor 40 Jahren gegeben. Seitdem habe es mit der Digitalisierung eine enorme Entwicklung gegeben. Notwendig sei aber auch eine „gerechte und faire Verteilung der Krisenkosten“. Die großen Profiteure der Krise wie Amazon sollen einen Solidarbeitrag von zehn Prozent ihres Jahresumsatzes leisten. Um unabhängiger vom globalen Markt zu sein, will Rendi-Wagner mehr „Made in Austria“. Schließlich „sollten breitere Schultern auch breite Lasten tragen“, sagte Rendi-Wagner mit Blick auf eine Vermögenssteuer.
Zuvor wurde eine im Vorfeld produzierte Fernsehdokumentation auf mehreren TV-Kanälen sowie online ausgestrahlt – die Geschichte der Maifeierlichkeiten war das Thema. Die Begrüßung übernahm der Wiener Bürgermeister und Landesparteichef Michael Ludwig. Zu Wort kamen auch ÖGB-Chef Wolfgang Katzian und AK-Präsidentin Renate Anderl.