Interview

„Es gibt dem Ganzen einen Sinn“: Psychologin Constantini über Demenz des Vaters

Der Menschenfreund Didi Constantini lacht noch immer gerne mit Freunden. Es tut ihm gut, trotz seiner Erkrankung noch auszugehen.
© gepa

Psychologin Johanna Constantini will mit dem Buch über ihren Vater Didi aufklären, indem sie private Einblicke in die Demenz-Erkrankung des Ex-Fußball-Teamchefs gibt.

Was ist die Intention Ihres Buches?

Johanna Constantini: Der Anlass war Papas Autounfall vor einem Jahr mit der darauf folgenden finalen Diagnos­e Demenz. Wir wollen, dass sich Menschen mit Demenz trauen, an die Öffentlichkeit zu gehen und am Leben teilzunehmen. Demenz ist ein Paradebeispiel dafür, dass man sich zurückzieht. Und es ist für die ganze Familie eine Aufarbeitung, aber uns ist es wichtig, andere damit zu erreichen. Das, was man familiär mitmacht, gibt dem Ganzen so auch einen Sinn. Natürlich wäre es mir lieber, Papa wär­e nicht krank und ich würde kein Buch schreiben.

Warum lautet der Titel „Abseit­s“?

Constantini: Weil sich Papa nach dem Rückzug aus dem Fußballgeschehen ins Abseits begeben hatte. Es ist eine gute Verbindung zum Fußball, der sein Leben war, und über die Position, in die Menschen mit Demenz gedrängt werden.

Was bewirkt der Rückzug?

Constantini: Die Fähigkeiten von Körper und Geist bauen schneller ab. Das Wichtigste ist, möglichst normal weiterzuleben und soziale Kontakte zu pflegen. Das tut Papa so gut. Die Menschen sind sich bewusst, Sachen nicht mehr „richtig zu machen“.

Psychologin Johanna Constantini.
© Constantini

In der Corona-Krise wurden diese Menschen völlig isoliert. Welche Auswirkungen hatte das?

Constantini: Zahlen kenne ich noch nicht. Aber ich habe von einigen Menschen gehört, die sehr schnell abgebaut haben. Das ist in Alten- und Behindertenheimen ein Thema. Es sind wieder diese Menschen, die mit am meisten leiden.

Sie haben Ihren Vater weiter besucht.

Constantini: Wir haben unternommen, was möglich war. Papa freute sich über die Spaziergänge. Es muss nicht immer die Lokalrunde sein, auch wenn sie ihm abgegangen ist, so wie ihm seine Freunde gefehlt haben.

Wie geht es ihm?

Constantini: Es geht ihm so weit gut. Die Krankheit schreitet voran, mal mehr, mal weniger. Wir werden oft gefragt, ob er noch jemanden erkennt. Das ist es, was mit der Krankheit in Verbindung gebracht wird. Aber das ist etwas, was, wenn überhaupt, später eintritt. Durch sehr private Einblicke im Buch zeigen wir, dass Demenz nicht so ein Horrorszenario ist, sondern es passieren nach und nach „Normabweichungen“. Die man sehr wohl tolerieren kann.

Es geht aber auch um Offenheit?

Constantini: Beides. Demenz ist der Überbegriff für unterschiedliche Krankheiten und Krankheitsverläufe. Je offener man dafür ist, diese zu verstehen, desto leichter wird Toleranz.

Etwas, das wir aufgrund der Häufigkeit lernen sollten.

Constantini: Mittlerweile sind offiziell über 100.000 in Österreich an Demenz erkrankt, 2050 sollen es doppelt so viele sein. Der höchste Risikofaktor ist das Alter, aber auch andere Faktoren wie Ernährung, Stress und Bewegung spielen mit hinein. Zudem ist Altersdepression ein großer Risikofaktor. Viele aus der Generation meines Papas trauen sich nicht, Hilfe zu suchen.

War das der Grund, warum die Diagnose erst nach dem Unfall gestellt wurde?

Constantini: Papa war schon davor in Behandlung. Die Ärzte waren unterschiedlicher Ansicht. Es war aber seine Entscheidung, den Verdachts­diagnosen nicht weiter auf den Grund zu gehen. Es war nicht immer leicht, ihn zu allen Unterstützungsmöglichkeiten zu bringen.

Änderte der Unfall das?

Constantini: Teilweise, weil dadurch gewisse Wege unumgänglich geworden sind, auch das beschreibe ich im Buch. Ich weiß aus meiner psychologischen Berufserfahrung, dass es für die Betroffenen nicht leicht ist, zum Arzt zu gehen. Dabei wäre es wichtig. Gerade beginnende geistige Einschränkung können viele Ursachen haben – zum Beispiel so etwas Banales wie Flüssigkeitsmangel.

Wie war es, als Kind den Vater zum Arztbesuch zu bewegen?

Constantini: Es kommt zur schwierigen Umkehr der Roll­e, wenn die Eltern zunehmend auf Hilfe angewiesen sind. Es ist gut, sich auf diese Umkehr vorzubereiten.

Was ist das größte Manko bezüglich Demenz?

Constantini: Die Stigmatisierung, die fehlenden bezahlten Versorgungsplätze für Psychotherapien und klinisch psychologischer Behandlungen. Und es gibt vor allem Aufholbedarf, was das normale Leben angeht: vom Supermarkt über den öffentlichen Verkehr bis zum Flughafen. Wenn alles nur noch über das Handy zu buchen oder zu bezahlen ist, dann ist das ein Ausschlusskriterium für Menschen mit Demenz oder Personen mit anderen Erkrankungen. Es gibt Krankheiten, die mit dem Effizienzgedanken nicht mitkommen.

Das Interview führte Susann Frank

Steckbrief, Buch

Autorin Johanna Constantini (geb. 1992) ist selbstständige Psychologin für Klinische, Sport- und Arbeitspsychologie in Innsbruck.

Buch: Auch Didi Constantinis Weggefährten kommen zu Wort. Es sind Rück­blicke und tiefe Einblicke in sein bewegtes Leben.
Veröffentlichung: ca. September 2020.
Preis: ca. 24,95 Euro (ca. 240 Seiten).

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