Pannenserie in Türkis im Zeichen von Corona: Eine Analyse der Verfehlungen
Mangelnde Kritikfähigkeit und missglückte Kommunikation: Eine Analyse der jüngsten politischen Hoppalas im Windschatten der Pandemie.
Carmen Baumgartner-Pötz
Wien – Arbeitsministerin Christine Aschbacher übergibt einer Familie mit Baby 100 Euro in bar, spielt ein skurriles Foto davon der Boulevard zu und wird dafür im Netz verspottet. Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer lässt sich für ein Genussmagazin alleine mit einer Magnum-Flasche edlen Weins fotografieren und ruft grinsend zum Konsum auf – ein Shitstorm auf Twitter ist die Folge. Das Ressort von Tourismusministerin Elisabeth Köstinger schießt scharf gegen einen prominenten Wiener Gastronomen, der ausstehende Regierungshilfen kritisiert hatte – und mutmaßt über erfolgte Zahlungsflüsse an den Wirt. Bundeskanzler Sebastian Kurz erklärt im Ö3-Frühstück bei Claudia Stöckl, dass natürlich keine Finanzhilfe bewilligt werde, wenn die Anträge falsch ausgefüllt würden oder man zuvor schwarz gearbeitet habe – selber schuld quasi.
Vier Beispiele aus nur einer einzigen Woche innenpolitischen Corona-Alltags, allesamt aus türkisen Ressorts, wenn man (Ex-Wirtschaftsminister) Mahrer dazuzählt. Es drängt sich der Eindruck auf, dass da in der großen Regierungspartei einiges nicht rund läuft. Branchenkenner bestätigen das.
„Es ist deshalb erstaunlich, weil man eine derartige Pannenserie von ÖVP-Ressorts nicht gewöhnt ist“, analysiert der Politikberater Thomas Hofer im Gespräch mit der TT. Dazu gesellten sich Hoppalas, Schlampereien und Fehler wie mangelhafte Verordnungen oder ein Budgetentwurf ohne den Zusatz „in Millionen Euro“. Diese einzelnen Fehler seien, so Hofer, jeder für sich verzeihlich, weil seit drei Monaten Ausnahmezustand herrscht im Land. Und wo gearbeitet wird bzw. viele Menschen schlicht überarbeitet sind, passieren nun einmal Fehler. Aber: „Das Mikromanagement ist etwas wehleidig“, urteilt Hofer.
Stefan A. Sengl, Geschäftsführer der Kommunikationsagentur skills, kommt zu einem ähnlichen Befund. Auch ihm ist die Häufung von seltsamen türkisen Aufreger-Geschichten binnen kürzester Zeit nicht entgangen, auf Twitter hat er so manches kritisch kommentiert. „Aber ich habe mir dreimal überlegt, ob ich was dazu schreibe“, so Sengl zur TT. Denn auch ihm ist klar, „dass manche Dinge der aktuellen Überlastung geschuldet sind“. Allerdings gingen Geschichten wie etwa die fehlenden Nullen im Budget ja nur deshalb medial so hoch, weil es eine Vorgeschichte gebe – die Unterlagen seien bewusst erst spät angepasst worden und das auch noch mit nicht gerade niedrigem Selbstbewusstsein.
„Die Bereitschaft, Fehler zu verzeihen, gerade in der jetzigen Pandemie-Ausnahmesituation, ist hoch. Aber Fehler zu machen und dann so zu tun, als sei alles in Ordnung, führt zu sehr emotionalen Reaktionen und Unverständnis“, erklärt der Kommunikationsexperte.
Vor allem die Causa um den Aschbacher-Babyhunderter ist für Sengl nur sehr schwer nachvollziehbar. Das Original-Foto, auf Grund dessen am vergangenen Wochenende die Wogen hochgegangen waren, wurde vom Ministerium entfernt, kursiert aber natürlich weiterhin – auch in Meme-Form – im Netz. Die Ministerin überreicht mit einer Zange gönnerhaft Geld an eine Familie, das Baby auf dem Arm der Mutter greift danach. So erklärte Aschbacher gegenüber Ö1 die Szenerie, die in den Augen von Kritikern offenbart, dass die Regierung ihre Bürger als Bittsteller sieht. Und seit Jörg Haider als Kärntner Landeshauptmann persönlich Geld verteilt hat, weiß man in der Politik, wie heikel das ist und wie hartnäckig sich diese Bilder ins kollektive Gedächtnis einbrennen.
„Das Foto-Shooting wurde genau für die Zielgruppe konzipiert, dafür musste diese Familie gecastet werden. Wenn man das nicht bewusst so wollte, dann hätte man nicht genau dieses Foto nehmen oder auswählen oder an die Medien geben dürfen – es gab ja sicher mehrere“, kritisiert Sengl das fehlende Gespür der Verantwortlichen. Außerdem müsse man den Kontext beachten: „Hier war spezifisch der Aufreger, dass es momentan einfach viele Leute gibt, die auf Finanzhilfe warten, die nicht oder zu spät ankommt. Das Beantragen ist aufwändig und mühsam. Das Bild des großzügigen Geldverteilens ist deshalb eine Provokation, mit Bargeld wirkt es besonders plump“, sagt Sengl. Im Verhältnis dazu sei das Foto von Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer mit einer Magnum-Flasche eines österreichischen Winzers einfach nur missglückt: „Das Zielmedium wird von anspruchsvollen Genießern gelesen, die dem Hedonismus nahestehen“, analysiert Sengl. Aber die Macher hätten sich offenbar keine Gedanken gemacht, wie diese Inszenierung in einem anderen Kontext wirkt – etwa auf Kleinunternehmer, die um ihre Existenz bangen müssen.
Für Thomas Hofer stehen all diese Fälle im Gegensatz zu dem Grundprinzip des türkisen Regierungsanspruchs, in jedem Bereich die Kontrolle behalten zu wollen: „Da darf es keine Abweichungen geben, deshalb werden Kritiker zurückgepfiffen. Jetzt dauert aber der Corona-Ausnahmezustand schon drei Monate und es kommt zur Überforderung“, attestiert der Politikberater.
Dabei sei der Kontrollverlust bis zu einem gewissen Punkt ganz normal: Wenn die ganze Welt sprichwörtlich krachen geht, kann einfach nicht alles so rund funktionieren, wie es das sonst tut.