Nach dem Corona-Stopp gibt es ein filmisches Vorglühen
Nach dem Corona-Stopp fahren die heimischen Filmfestivals wieder hoch: Die Diametrale stimmt heute auf ihre heurige Auflage ein, das IFFI morgen – und die Viennale wird 2020 österreichischer.
Innsbruck –Das Innsbrucker Filmfestival Diametrale hat sich nicht zuletzt der Förderung von Gegenrealitäten verschrieben. Die dritte Auflage der Feier von „abgedrehtem“ Kino hätte eigentlich Anfang April stattfinden sollen. Heuer machte die Realität selbst den Gegenrealitäten einen Strich durch die Planung. Nun findet das Festival experimenteller und komischer Filmkunst von 15. bis 18. Juli im Leokino statt. Der Großteil des angedachten Programms konnte übers Veranstaltungsverbot gerettet werden. Manches wurde den veränderten Gegebenheiten angepasst. So wird der Wiener Filmtheoretiker Drehli Robnik am Donnerstag, 16. Juli, einen Vortrag über Ansteckkino von 1919 bis Covid-19 halten und dabei den Bogen von NS-Propaganda bis zur US-Killerviren-Satire spannen.
Bereits heute Abend lädt die Diametrale zum filmischen Vorglühen ins Innsbrucker Leokino. Gezeigt wird ein allzu oft unbesungenes Ausnahmewerk des Abseitigen. Slava Tsukermans „Liquid Sky“ entstand Anfang der 1980er-Jahre aus der Enttäuschung, dass ein anderes Projekt sich in der Entwicklungshölle verlor. Deshalb sollte diesmal alles anders werden. Der Plot: Außerirdische laben sich an jenen Hormonen, die ausgewählte Drogen und sexuelle Erfüllung freisetzen – und beißen sich daher in einer besonders räudigen Gegend fest. Dort regieren Post-Punk-Posen und New-Wave-Wellen. Schon allein deshalb ist „Liquid Sky“ ein vom Neonlicht verstrahlter Augenschmaus. Der durch den Umstand, dass er bei der Diametrale als wunderbar vordigitale 35-Millimeter-Projektion gezeigt, also sprichwörtlich vorgeführt wird, um ein Vielfaches potenziert wird.
So übrigens – darauf wiesen die Diametrale-Macherinnen und -Macher kürzlich online hin – lief „Liquid Sky“ bereits im Sommer 1984 im noch ziemlich neuen Innsbrucker Cinematograph. Und wurde vom bereits damals unverzichtbaren Kinokalendarium mit Verweis aufs Branchenblatt Variety für sein „anspruchsvolles Gefühl für Humor“ gelobt. Dem kann und soll auch mit beinahe vier Jahrzehnten Sicherheitsabstand nicht widersprochen werden: Wenn die Realität komisch ist, darf es in der Gegenrealität lustig sein. (jole)
„Chance, das Festival neu zu denken“
Die aktuelle Situation sei auch eine Möglichkeit, ihr Festival neu zu denken, sagte Viennale-Direktorin Eva Sangiorgi gestern. Die Planung für die 58. Auflage von Österreichs größtem Filmfestival wurde durch Corona jäh unterbrochen. Da die Lage weiterhin volatil ist, bereite man sich derzeit auf verschiedene Szenarien vor, so Sangiorgi. Die Viennale wird heuer von 22. Oktober bis 1. November stattfinden – und damit drei Tage kürzer sein als bisher. Dafür gibt es zusätzliche Spielstätten, etwa das Filmcasino. Das Programm soll im August vorgestellt werden. In Kooperation mit der heuer ausgefallenen Grazer Diagonale wird es einen Österreich-Schwerpunkt geben.
Visionen aus aktuellem Anlass
Die 29. Auflage des Internationalen Filmfestivals Innsbruck (IFFI) wurde wegen der Corona-Pandemie verschoben und findet – wie berichtet – von 3. bis 8. November statt. Zum ursprünglich geplanten Festivalstart Anfang Juni zeigte das IFFI ausgewählte Festivalfilme im Innsbrucker Leokino. Nun startet die neue Festivalleiterin Anna Ladinig dort die Sonderreihe „Weltweite Visionen“, bei der abseits des Festivals Filme aus gegebenem Anlass gezeigt werden sollen. Den Auftakt macht am Sonntag, 5. Juli, Spike Lees nach wie vor brennend aktuelle Rassismus-Studie „Do the Right Thing“ (1989), über einen furchtbar heißen Tag, an dem sich jahrzehntelang aufgestaute soziale Spannungen in einem wütenden Ausbruch entladen – ein nach wie vor unbequemes Meisterwerk. Beginn: 20 Uhr.