ÖGK-Chef Huss in Tirol: Uni-Quote für Hausärzte, magere Fusions-Ersparnis
Gesundheitskasse-Obmann Andreas Huss spricht sich für dezentrale Entscheidungen aus. Ohne Staatshilfe wackeln Leistungen und Rücklagen.
Von Alois Vahrner
Innsbruck, Wien – Seit 1. Juli ist der frühere Salzburger Krankenkassen-Obmann Huss (er sitzt auf einem Ticket der Arbeitnehmer) Obmann der aus den Gebietskrankenkassen fusionierten Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK). Er wechselt sich halbjährlich im Vorsitz und als Vize mit dem einst von der FPÖ für die Unternehmerseite nominierten Matthias Krenn ab.
Bei seinem gestrigen Tirol-Besuch zog Huss eine gemischte Bilanz zur von Türkis-Blau durchgezogenen Fusion der Krankenkassen. „Die Fassade steht, man hat sich viel intern mit dem Umbau der Strukturen beschäftigt. Jetzt geht es darum, vor allem an die Versicherten zu denken. Der medizinische Fortschritt hat nämlich nicht pausiert.“ Von der versprochenen „Patientenmilliarde“, die man aus Einsparungen bis 2023 erzielen wollte, werde kaum etwas zu sehen sein. Längerfristig seien vielleicht 30 bis 40 Mio. Euro pro Jahr an Synergie-Effekten und Nicht-Nachbesetzungen zu holen, so der ÖGK-Obmann. Nach dem Wechsel von Türkis-Blau zu Türkis-Grün und dem neuen Gesundheitsminister Rudolf Anschober habe sich einiges entspannt.
Die ÖGK sei nun geschaffen und werde sicher nicht mehr rückgängig gemacht. Deshalb gelte es nun, für die Patienten mehr Vorteile zu erzielen. Das geht nach Ansicht von Huss nicht mit überbordendem Zentralismus, sondern mit Regionalität und damit auch möglichst vielen Entscheidungen vor Ort. „In Wien weiß man nicht am besten, was etwa das Ötztal benötigt“, sagt Huss. Allein in Tirol gebe es über 50 Kooperationen mit dem Land, so Werner Salzburger als Chef des Tiroler Landesstellenausschusses.
Laut Huss gehe es darum, etwa das erfolgreiche Tiroler Herzinsuffizienz-Programm österreichweit auszurollen. Auch bei der Prävention, beispielsweise bei der Kinder-Zahngesundheit, sei Tirol sehr erfolgreich. 71 Prozent der Kinder seien kariesfrei, bundesweit hingegen nur 55 Prozent. Ein Modell mit bundesweiter Vorbildwirkung habe etwa auch Vorarlberg bei der Koloskopie (Darmspiegelung). Dieses habe in zehn Jahren 75 Mio. Euro an Folgekosten erspart. Mit einem erstmals in Wien gestarteten Diabetes-Programm sollen Amputationen oder Erblindungen verhindert werden.
Einen besonderen Schwerpunkt möchte der ÖGK-Obmann bei der Hausarzt-Versorgung setzen. „Für mich ist das die Königsdisziplin in der Medizin, weil kein anderer Arzt so nahe an den Patienten und Familien dran ist.“ Laut Huss sollte ein fixes Kontingent für angehende Allgemeinmediziner reserviert sein. Diese sollten auch mit einem Stipendium gefördert werden und sich dafür für mindestens zehn Jahre Tätigkeit verpflichten müssen.
Schwer zu schaffen macht der ÖGK die Corona-Krise. Durch Beitragsstundungen und höhere Arbeitslosigkeit fehle ein hoher dreistelliger Millionenbetrag. Ein Beschäftigter zahle im Schnitt 2900 Euro im Jahr, ein Arbeitsloser nur 1000 Euro. Statt eines erwarteten Plus bei den Beiträgen von 4,6 Prozent gebe es einen Einbruch um 7 Prozent, Huss hofft auf eine Zusage des Bundes, das Riesenloch zumindest zum Teil abzudecken. Man habe 1,2 Mrd. Euro an Rücklagen, davon stecke die Hälfte aber im Anlagevermögen wie den Gebäuden. Leistungskürzungen oder Selbstbehalte müssten verhindert werden. Wenn die Rücklagen aufgelöst würden, drohe zudem ein Aufschrei aus den Ländern wie Oberösterreich und Salzburg, die am meisten angesammelt haben.
Dass während des Corona-Lockdowns (und teilweise auch danach) Operationen aufgeschoben worden und Arztbesuche teils kräftig zurückgegangen seien (bei Fachärzten teils bis zu 70 Prozent), sei alarmierend, sagt Huss. Diesen Rückstau gelte es möglichst rasch wieder aufzuholen.