"Die schönsten Jahre eines Lebens": Postskriptum einer alten Liebe
Anouk Aimée und Jean-Louis Trintignant feiern in „Les plus belles années d’une vie“ (Die schönsten Jahre eines Lebens) ein Wiedersehen mit Claude Lelouch.
Innsbruck – „Es war zu schön, zu perfekt. Es hat mir Angst gemacht“, antwortet Anne Gauthier auf die Frage, warum sie vor langer Zeit nicht mit einem gewissen Jean-Louis Duroc zusammengeblieben ist. Die Vorgeschichte ist 53 Jahre her. Nun sitzt er in einem luxuriösen Altenheim und vergisst das Meiste sofort wieder. Nur die schöne Zeit mit Anne lässt ihm Monsieur Alzheimer noch. Darum bittet sein Sohn Anne, ihm einen Besuch abzustatten. Diese erste Wiederbegegnung ist der ergreifendste Moment im Film „Les plus belles années d’une vie“ („Die schönsten Jahre des Lebens“). Jean-Louis erkennt Anne nicht. Sie gibt sich nicht zu erkennen, sondern hört seiner Erinnerung zu. Ein magisches Gespräch entsteht, in dem die Vergangenheit durch die Gegenwart hindurchleuchtet.
Diese Doppelbelichtung ist auch das Prinzip von Claude Lelouchs neuem Film, der nicht viel mehr als ein Postskriptum seines eigenen Welterfolgs „Un homme et une femme“ von 1966 ist. Die Nouvelle-Vague-Romanze erhielt nicht nur Auslands- und Drehbuch-Oscar und den Hauptpreis in Cannes, sondern brachte bereits 1986 eine Fortsetzung namens „Un homme et une femme, 20 ans déjà“ hervor.
📽 Trailer | Die schönsten Jahre eines Lebens
Nun, mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Original, bringt der Regisseur (82) seine beiden Darstellenden erneut zusammen. Es wird das letzte Mal sein: Anouk Aimée (88) und der sichtlich gezeichnete Jean-Louis Trintignant (89) machen die Sterblichkeit hinter der unsterblichen Kinogeschichte deutlich. Immer wieder schneidet Lelouch seine Bilder von damals dazwischen, die praktischerweise schon teilweise in nostalgischem Schwarz-Weiß und Sepia gedreht wurden, aus Kostengründen. Die Worte der Erinnerung werden zum Kommentar der Kinobilder, etwa bei der morgendlichen Autofahrt durch das Paris der 60er. Die Chansons des unverwechselbaren Soundtracks erzählten freilich schon damals von einem Fluss ohne Wiederkehr.
Neue Geschichte wird den Figuren leider keine mehr geschenkt, wie noch in „Before Midnight“ oder im großartigen „45 Years“. Die Szenen ohne Anne und Jean-Louis sind überflüssiges, fernsehhaft gefilmtes Beiwerk, die Wiederbegegnungen der beiden aber umso wunderbarer. Der ehemalige „Rennfahrer und Schürzenjäger“ Jean-Louis versinkt in absurden Träumen („An einer Überdosis Träume ist noch niemand gestorben“) und zitiert unanständige Gedichte. Trintignant spielt die hereinbrechende Dunkelheit charmant-traurig. Anders als in seiner großen Altersrolle in Michael Hanekes „Amour“ mischt sich diesmal aber viel sanft-süße Nostalgie dazu.
„Les plus belles années d’une vie“ ist die rückwärtsgewandte Essenz des Melodrams, die hier ihre Entsprechung in der Filmgeschichte findet: Das Zu-Spät der verpassten Chance einer Liebe erfüllt sich in den restaurierten Filmbildern von damals. Irgendwann in naher Zukunft, wenn die Schauspielenden längst gestorben sind, wird die 60er-Jahre-Liebesgeschichte ihrer Figuren noch immer da sein. Und das Postskriptum von 2019 auch. (maw)