„Folklore“ von Taylor Swift: Auszeit vom Popzirkus
Ohne Vorankündigung veröffentlicht Superstar Taylor Swift am Wochenende ihr Album „Folklore“. Darauf schlägt sie ruhige Töne an. Eine Überraschung in doppelter Hinsicht.
Von Barbara Unterthurner
Innsbruck – Ganz plötzlich war es da. Ohne aufwändige Marketingstrategie, ohne versteckte Hinweise, ohne Twitter-Spekulationen, ohne Countdown-Wehen. Am Freitag, Punkt 0.00 Uhr kam es auf die Welt, „gedroppt“ vom wohl erfolgreichsten weiblichen Popstar der Gegenwart. „Folklore“, das neue Album von Taylor Swift, war in einem „stream of consciousness“ entstanden, verkündet die 30-Jährige am Freitag via Twitter. Während Corona, während des Lockdown. So kurzfristig wie es entstanden war, sollte es jetzt auch veröffentlicht werden.
Gerade weil „Folklore“ der Marketingbombast fehlt, verwundert es kaum, dass die 16 Songs starke Platte nicht als klassisches Swift-Werk erkennbar ist. Mit der Richtung, die die US-Amerikanerin in den letzten Veröffentlichungen vorgegeben hatte, bricht sie klar. „Folklore“ ist ruhig, dezent instrumentiert, in Teilen düster, vielleicht eine nebulöse Kammermusikversion der gewohnt quietschbunten Popmaschine Taylor Swift.
Denn hinter all den sanft gezupften Akustik-Gitarrenklängen, den weichen Pianofiguren steckt immer noch „Taytay“, wie die Fangemeinde ihr Wunderkind nennt. Unvergessen: Taylor Swift wurde als „Country-Star“ bekannt, eben auch mit Gitarre im Anschlag, lange wallendem Haar, unschuldig, uramerikanisch. Das hatte sich in inzwischen acht Studioalben doch gewandelt, mit „Lover“ (veröffentlicht im August 2019) prangerte sie Online-Hass und Homophobie an und wurde als LGBTQ+-Aktivistin gefeiert. Im Juni, vor dem Hintergrund des Mordes an George Floyd dann ein „Wir werden Sie im November abwählen“ in Richtung Trump. Ja, auf die urkonservativen „Swifties“ (so nennt Taytay ihre Fangemeinde im Gegenzug) pfeift die Dreißigjährige inzwischen.
So wie sie überhaupt weitgehend auf Erwartungen jeglicher Couleur pfeift: Denn wer gemeint hätte, exakt 100 Tage vor der Wahl würde der Superstar jetzt einen flammenden Abgesang auf die US-amerikanische Politik der Gegenwart veröffentlichen, der irrt ebenso. Taylor Swift ist in den Wald gegangen – aber nicht zurück zu ihren Wurzeln. An einem nebelverhangenen Morgen hat sie neue Musik geschrieben. Wie passend, mit Bon Iver aka Justin Vernon, der – das erzählt sich so gut – sein fantastisches Debüt „For Emma, Forever Ago“ in der Jagdhütte seines Vaters aufgenommen hat. Also auch irgendwo im Nirgendwo.
Mit Vernon entstand eines der berührendsten Stücke auf „Folklore“: In „Exile“ sezieren Swift und Vernon als Duo eine Beziehung, die mehrheitlich aus Tiefen besteht. Die Story spitzt sich schlussendlich zur dramatischen Paartherapie zu. Das war wohl nichts mit der großen Liebe. Genau wie der Eine in „The 1“nicht der eine Richtige ist: „But it would’ve been fun, if you would’ve been the one“, konstatiert Swift. Und auch beim zentralen „Cardigan“ bleibt von der jungen Liebe nur noch ein alter Fetzen unter dem Bett. Die großen Gefühle verheddern sich in wirren Klangfransen.
📽️ | „Exile“ zum Reinhören:
Auf die erste Liebe folgt bei Swift die zweite, dritte, vierte. Und Herzschmerz hoch 5. Die Erfahrungen, die Swift auf ihrer neuen Platte spektakulär unspektakulär besingt, sind universell, kaum persönlich geprägt, wie sie es in früheren Alben so selbstbewusst betonte. In „Betty“ singt das weibliche, lyrische Ich nebst Mundharmonika-Geschlurfe von der unerfüllten Sehnsucht nach Betty. Damals mit 17. „Seven“ handelt vom Wegträumen aus einem gewalttätigen Haushalt.
11 der 16 schrieb Swift mit Aaron Dessner von The National, die auch nicht gerade für happy Sound stehen. Passt trotzdem, denn Taylor Swift leidet gut. Warum aber jetzt? Vielleicht ist sie geflüchtet, verschließt die Augen, keine Marketingabteilung konnte diesen Frühling planen? Bei Swift fühlt er sich nach Herbst an. Nach Auszeit vom Popzirkus an. Keine unspannende Facette.
Folk, Indiepop. Taylor Swift: Folklore. Universal Music.