Lebenslange Haft für Fünffachmord: „Fand aus Tunnelblick nicht heraus“
Lebenslange Haft: Ein an sich ganz normaler 26-Jähriger geht mit dem Fünffachmord von Kitzbühel in die Tiroler Kriminalgeschichte ein. Auch vor den Geschworenen war die Tat weder rational noch emotional begreifbar.
Von Reinhard Fellner
Innsbruck – Jeden 6. Oktober wird es in Kitzbühel wohl künftig eine Gedenkminute geben. Sie wird an den Tod von fünf Menschen erinnern, die in den frühen Morgenstunden von einem, der einst unter deren Dach gelebt hatte, niedergeschossen wurden. Opfer- und Täterfamilie wohnten seit Generationen voll integriert in der Gamsstadt. Dann die Tat, die als Fünffachmord in die Tiroler Kriminalgeschichte eingehen wird und weltweit durch die Nachrichtenagenturen ging.
Entsetzen und Unverständnis über die Tat hielten sich bis gestern beim Schwurgerichtsprozess am Landesgericht die Waage. Rührte diese doch von einem Beziehungsende her, das bereits gut zwei Monate zuvor vollzogen war.
Über fünf Jahre waren Andreas E. und „seine“ Nadine zusammen. 19 und 14 Jahre alt waren sie, als sich beide kennen und lieben lernten. Für den heute 26-jährigen Bauarbeiter ein Bund fürs Leben. Zu ihrem 20. Geburtstag wollte er Nadine heuer einen Heiratsantrag machen, ein Nest bauen und eine Familie gründen. Nadine hat ihren 20. Geburtstag nicht erlebt – hatte die heranwachsende Frau doch mittlerweile ganz andere Interessen als Couch und Familie. Eigentlich schon, als das Paar im Mai noch zusammen den ersten Stock von Nadines Elternhaus bezogen hatte. Dann bereits im Juli das Aus. Ein Beziehungsende ohne Ende. Immer wieder trafen Andreas und Nadine in der überschaubaren Gamsstadt zusammen – schon allein deshalb, da Nadines älterer Bruder Kevin zu den allerbesten Freunden von Andreas zählte. Dann der 5. Oktober. In einem Lokal kam es zu einem erneuten Zusammentreffen des einstigen Paars. Wieder verlangte Andreas nach einer Chance und einer letzten Aussprache.
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Als das Ansinnen im Streit endet, fährt der mit 0,83 Promille Alkoholisierte dennoch zum Elternhaus Nadines und spricht mit dem Vater. Kurz darauf kehrt er wieder und hat es damit wohl übertrieben: Entnervt sagt ihm Nadines Vater, dass er „sich jetzt schleichen sollte“. Nadine steht schreiend daneben und eröffnet dem äußerst konservativ veranlagten Andreas, dass sie ihn „eh zweimal betrogen“ habe, und fragt, „was er jetzt noch da wolle“. Wieder den Bruder besuchen beispielsweise. Aber auch dieser bekennt, dass deren Freundschaft nun wohl zu Ende sei.
Auslöser einer furchtbaren Tat, die laut der bekannten Gerichtspsychiaterin Adelheid Kastner in der Psyche des 26-Jährigen begründet ist. Andreas kann mit seinen Emotionen nämlich schwer umgehen, kann Gefühle und Empfindungen kaum artikulieren. So prägte sich bei dem jungen Kitzbüheler ein ausgeprägtes Schwarz-Weiß-Denken ein, das keine Kompromisse kennt. „Kastner: „Er will unbeirrt an Entscheidungen sowie etablierten Verhältnissen festhalten und hat eine ausgeprägte Sehnsucht nach stabilen Beziehungen.“
Zur „fatal langen Trennungsphase“ sei am Tatmorgen der urplötzliche Bruch mit Nadines Familie, seiner Zweitfamilie, gekommen. Die Psychiaterin: „Es war nicht die endgültige Trennung von Nadine allein. Dem Angeklagten ist an diesem Morgen sein gesamtes Beziehungsgeflecht zusammengebrochen. Er hat darauf mit einer Radikalverwerfung der gesamten Familie reagiert.“ „Jetzt ist es genug!“, hatte sich Andreas dann bei der Fahrt zum Elternhaus gedacht und schon da einen Mordvorsatz gehegt. Mit dem passenden Schlüssel hatte er den Safe geöffnet und die Pistole seines Bruders und 50 Patronen an sich genommen. Zurück vor dem Haus schoss er alle Anwesenden unbarmherzig nieder, zwei Personen – unter anderem seinem einst so guten Freund Kevin – setzte er die Waffe sogar direkt an den Kopf an.
Chronologie des Unfassbaren
Liebespaar. 2012 lernt Andreas E. Nadine kennen. Das junge Paar führt darauf fünf Jahre eine Beziehung. Im Mai 2019 ziehen beide in das Haus von Nadines Eltern. Heuer wollte E. heiraten. Nadine trennte sich aber letzten Juli von ihm. E. verliert Freundin und Zweitfamilie.
Tatauslöser. Am 5. Oktober unternimmt E. mit Nadines Bruder Kevin eine Lokaltour durch Kitzbühel. Dabei trifft E. auch auf Nadine. E. bittet die 19-Jährige, ihm noch eine Chance zu geben. Ein Streitgespräch entwickelt sich. Gegen vier Uhr Früh wird E. vor dem Elternhaus von Nadine der Einlass verweigert. Um 4.30 Uhr kehrt er wieder und wird schroff des Grundstücks verwiesen. Kevin kündigt ihm die Freundschaft. Ein konkreter Tötungsvorsatz entsteht.
Fünffachmord. E. fährt zu seinem Elternhaus und bemächtigt sich der versperrten Pistole seines Bruders samt 50 Patronen. Um 5.30 Uhr klingelt er erneut bei Nadines Haus. Als der Vater öffnet, wird er sofort erschossen. In Minuten streckt E. mit der Pistole darauf Freund Kevin, Nadines Mutter, Nadine und zuletzt deren neuen Freund nieder. Um 5.55 Uhr stellt sich E. der Polizei und erzählt. (fell)
Vor den Geschworenen zeigte sich der 26-Jährige gestern darüber selbst schockiert und weinerlich. Hass und Enttäuschung hätten ihn zur Tat getrieben: „So etwas tut man nicht absichtlich. Alle waren ja komplett unschuldig. Aber ich war in einem Tunnelblick gefangen und fand nicht mehr heraus. Der Tunnelblick rührte aus meiner Enttäuschung. Als Außenstehender kann man sich das nicht vorstellen.“
Der unbeirrbare Drang zur Vernichtung verfolgt den 26-Jährigen dafür nun jeden Tag. „Ich schlafe gut. Aber bis es so weit ist, dauert es meist drei bis vier Stunden. Bis dahin sehe ich die Tat immer wieder vor mir.“ Dass sich der Unterländer – glaubhaft – nicht mehr an alles erinnern kann, benennt Psychiaterin Kastner mit dem Fachbegriff „Dissoziation“: „Der Schutzmechanismus tritt ein, wenn das Erlebte zu viel ist, um es ertragen zu können.“ Ansonsten betonte Kastner aber, dass man es hier „mit einem völlig normalen Menschen zu tun“ habe, der „voll zurechnungsfähig wusste, was er tat“. Staatsanwältin Julia Klingenschmid: „Er hat seine Opfer wegen enttäuschter Liebe regelrecht hingerichtet. Die Tat ist auch auf den zweiten Blick nicht nachvollziehbar!“
Auch nicht für die Geschworenen. Sie urteilten nicht rechtskräftig einstimmig auf fünffachen Mord und lebenslange Haft.
Ermittlungen gegen Bruder
Möglich wurde die Wahnsinnstat erst durch das Mordinstrument – die Walther PPQ. Diese Pistole samt 50 Patronen hatte der 26-Jährige kurz vor der Tat mit passendem Schlüssel aus dem Safe seines im Ausland befindlichen Bruders geholt. Dies zieht nun gegen den Bruder wegen allenfalls nicht sorgfältiger Verwahrung der Waffe Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung nach sich, wie die Staatsanwaltschaft gestern dazu der TT bestätigte. Es gilt die Unschuldsvermutung.
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