"Il Traditore": Stolz macht keine Gefangenen
Marco Bellocchio verschmelzt in „Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra“ Gangsterfilm, Familien-tragödie und Gerichtsdrama zu einem kunstvoll in Szene gesetzten Zeitbild der jüngeren Geschichte Italiens.
Von Joachim Leitner
Innsbruck – „Die Mafia gibt es nicht. Sie ist eine Erfindung der Medien.“ Darauf beharrt Tommaso Buscetta. Und er beharrt auch darauf, „Ehrenmann“ zu sein. Einer, der auf Seiten der kleinen Leute stand. Verbrecher, das sind die anderen. Auch als „pentito“, als einer, der bereut, also, will er sich nicht verstanden wissen. Ein Held argumentiert anders. Aber Buscetta ist kein Held, sondern einer, der seine Haut retten will. Und das, was von seiner Familie übrig blieb.
„Pentito“ ist Buscetta natürlich trotzdem. So wurden jene einstigen Mitglieder der sizilianischen „Cosa Nostra“ von den Ermittlern genannt, die als Kronzeugen gegen das organisierte Verbrechen aussagten. Buscetta war einer der Ersten, die Anfang der 1980er-Jahre – wahrlich nicht freiwillig – mit den Behörden kooperierten. Und er war der bis dahin Hochrangigste. Der „Boss zweier Welten“, der dies- wie jenseits des Atlantiks durch und durch dreckige Geschäfte machte.
📽️ Video | Mafiafilm "Il Traditore" in den Kinos
„Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra“, der neue Film von Marco Bellocchio, erzählt Buscettas Geschichte, ohne sich dessen Blick auf die Geschichte zu Eigen zu machen. Auch wenn Buscettas eigene Schandtaten, seine blutige Verstrickung in die Mafia-Kriege der 60er-Jahre, nur angerissen werden.
Trotzdem steht außer Frage: Auch er hat Dreck am Stecken – und sinnt auf Rache an jenen, die seine Familienmitglieder und Gefolgsleute der Reihe nach abschlachteten. Bellocchio hat Buscetta mit Pierfrancesco Favino besetzt – und der legt die Figur ebenso vielschichtig wie undurchsichtig an: ein eitler Pfau, bisweilen jähzornig, dann wieder stoisch schicksalsergeben, stolz bis über den allabendlich nachgefärbten Haaransatz hinaus – und geschunden von nächtlichen Panikattacken. Einer, der auf die Umstände reagiert, dessen Motivation aber ebenso dunkel bleibt, wie die Gläser seiner Sonnenbrillen schon sind. Ganz ausschließen mag man nicht, dass er sich selbst in seinem Leiden gefällt. Macht und Geld haben ihn nie interessiert. Nur Frauen. Sagt er im Verhör mit dem Untersuchungsrichter Giovanni Falcone (Fausto Russo Alesi) – und trauert Champagner und Kaviar trotzdem nach, wenn ihm in der Sonderverwahrung dünne Minestrone aufgetischt wird. Die Möglichkeit zur Identifikation gibt es nicht. Trotzdem folgt man ihm wie gebannt.
Für den ersten so genannten „Maxiprocesso“ von Palermo (1986), bei dem Hunderte von Schattenmännern zu Tausenden Jahren Haft verurteilt wurden, waren Buscettas Aussagen, seine detaillierten Schilderungen der mafiösen Strukturen, grundlegend.
Bellocchio setzt den Großprozess am Originalschauplatz, einem eigens erbauten Bunker, detailgetreu nach den Protokollen in Szene. Ein an Irrwitz kaum zu überbietendes Spektakel: Bosse, die in Käfigen brüllen; eine Hundertschaft honoriger Anwälte, die – immer dann, wenn sich eine Auskunftsperson in breitestem Sizilianisch verliert – auf nachvollziehbares Italienisch pochen; weinende Schmerzensfrauen im Trauerflor; Blitzlichtgewitter; richterliche Ordnungsrufe, die im allgemeinen Affentheater ungehört verklingen.
Die Sequenz der Urteilsverkündung unterlegt Bellocchio mit dem „Gefangenenchor“ aus Giuseppe Verdis „Nabucco“. Überhaupt wagt sich „Il Traditore“ immer wieder ins Opernhafte. Anders als die großen amerikanischen Mafia-Filmer, anders als Francis Coppola und Martin Scorsese zum Beispiel überhöht oder romantisiert Bellocchio nicht. Er bricht den großen Gestus mit bitteren Pointen. Der „Gefangenenchor“ etwa ist noch nicht verklungen, da geht das Morden weiter: Giovanni Falcone stirbt bei einem Sprengstoffanschlag auf offener Straße. Auftraggeber Totò Riina (Nicola Calì), der „Boss der Bosse“, schafft es – obwohl in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt –, noch Jahre unterzutauchen.
Marco Bellocchio – inzwischen über 80 – hat großes Kino über ein dunkles Kapitel italienische Zeitgeschichte gemacht. „Il Traditore“ will viel sein – und ist von allem ein bisschen: Gangsterfilm, Justizdrama, Familientragödie. Im Kern und abseits aller der Welt abgetrotzten und kunstvoll in Szene gesetzten Fakten ist „Il Traditore“ eine schonungslose Studie männlichen Stolzes, der – wie die Mafia – keine Gefangenen macht.
📽️ Video | Der Trailer