Wie das Leben in Aguntum einst so spielte
Die einzige römische Stadt auf Tiroler Boden ist Aguntum bei Dölsach. Seit 30 Jahren graben Wissenschafter aus Innsbruck nach den Überresten.
Von Christoph Blassnig
Dölsach – Archäologiestudenten an der Universität Innsbruck lernen Tirols einzige Römerstadt Aguntum, gelegen zwischen Nußdorf-Debant und Dölsach, spätestens bei ihrer ersten Pflichtgrabung persönlich kennen. So kam auch Martin Auer im Jahr 2001 erstmals auf das Gelände. Mit 1. Oktober tritt Auer die Nachfolge Michael Tschurtschenthalers als Grabungsleiter in Aguntum an, der mit 65 Jahren in den Ruhestand versetzt wird.
Sieben Wochen lang waren insgesamt 21 Mitarbeiter der Universität bis heute mit Grabungen in der ehemaligen Römerstadt beschäftigt. Dabei war es bis zehn Tage vor Beginn der Arbeiten nicht klar, ob die Universität aufgrund der Corona-Situation solche Einsätze überhaupt genehmigen darf. Denn der Universitätsbetrieb ist nach wie vor für Studenten ausgesetzt. Doch Tschurtschenthaler, der die wissenschaftliche Erkundung zum letzten Mal geleitet hat, zeigt sich mit den Ergebnissen sehr zufrieden. „Wir haben einen Teil des Forums untersucht und das Handwerkerviertel nach kaum dokumentierten Grabungen in den 50er- und 60er-Jahren erneut gesichtet“, erläutert der Archäologe. Dabei ließen sich interessante Rückschlüsse ziehen.
So herrschte im dritten Jahrhundert eine schwere Wirtschafts- und Sozialkrise im Römischen Reich. Die Städte waren dennoch zu hohen Zahlungen an Rom verpflichtet, die öffentlichen Kassen waren leer. „Diesen Umstand belegen unsere Untersuchungen auch für Aguntum“, berichtet Tschurtschenthaler.
Der zentrale Platz, das Forum, war bei einem Brand zerstört worden. Verwertbare Reste wie Schieferplatten, Nägel und Steine haben die Bewohner in einem Raum gesammelt, diese sind dort allerdings ungenützt verblieben und wurden erst jetzt von den Archäologen wieder aufgefunden. „Man muss sich das vorstellen: Mitten in der Stadt war lange Zeit eine Brandruine, die nicht wieder hergestellt werden konnte“, staunt auch der erfahrene Wissenschafter.
Zeitgleich waren die Handwerker in ihrem Viertel sehr wohl in der Lage, neue Gebäude für sich zu errichten. Vorgängerbauten sind einfach zugeschüttet worden, um auf ihnen neue Werkstätten zu bauen. Ein Glücksfall für die Archäologie, der die Forscher entsprechend freut. Denn in einem dieser verschütteten Kellerräume haben sie heuer zahlreiche Funde machen können, zum großen Teil aus Knochen gefertigt, zum Teil auch aus Bronze. „Ein besonders seltener Fund ist eine beinerne Perle“, berichtet Tschurtschenthaler. Auch Haarnadeln und Stifte, mit denen man auf Wachstafeln schreiben konnte, sind in bestem Zustand erhalten geblieben. Das Stiftende wurde abgeflacht, um das Geschriebene auch wieder löschen zu können.
Martin Auer sieht für seine zukünftige Arbeit in Aguntum die Forschung und den archäologischen Park als zwei Bereiche mit unterschiedlichen Zielsetzungen, die es bestmöglich in Einklang zu bringen gelte. „Spannend wird die Freilegung und Erforschung des so genannten Prunkbaus, der nördlich an das Forum anschließt. Außerdem wollen wir die Stadtausdehnung abklären, denn westlich des Debantbaches wird immer mehr gebaut“, sagt Auer. Auf dieser Bachseite gebe es keine Fundstellen, die Wissenschafter würden bei Bauarbeiten daher auch nicht zu Rate gezogen. „Für uns ist das Verschwinden von unverbautem Land ein Wettlauf gegen die Zeit“, macht Tschurtschenthalers Nachfolger auf Sorgen der Archäologen aufmerksam. Daher sollten bald Georadar-Untersuchungen stattfinden.