„Corpus Christi“ im Kino: Eine scheinheilige Charade
Jan Komasas oscarnominiertes Drama „Corpus Christi“ rührt an den Grundfesten einer konservativen Gesellschaft.
Innsbruck – Daniel ist gerade frisch aus dem Jugendgefängnis entlassen. Ob sein als Anstaltsministrant gefundener Glaube echt oder gespielt ist, bleibt zunächst offen. Klar ist, auf die ehrliche Tour hat es der junge Mann (grandios: Bartosz Bielenia) schwer. Doch dann wirft ihn der Drehbuch-Gott in ein Missverständnis hinein. Eine gefundene Priester-Kutte – und der Wunsch, die gleichaltrige Lidia zu beeindrucken – lässt ihn zu Vater Tomasz werden. Als falscher Pfarrer inspiriert er die Kirchgänger einer kleinen Gemeinde – und er eckt bei den Mächtigen im Ort an, die die Kirche wie eh und je als ihr willfähriges Sprachrohr benutzen. Als Tomasz an das kollektive Trauma eines tödlichen Autounfalls rührt, brechen alte Wunden wieder auf.
„Corpus Christi“ – 2019 beim Filmfestival in Venedig uraufgeführt und wenig später Polens Kandidat für den Auslandsoscar – ist eine subversives Drama über die Verlogenheit und Bigotterie einer scheinheiligen Gesellschaft, die Einfluss zum Richtmaß für Respekt und Schuldfähigkeit macht. Wahrlich kein rein polnisches Problem. Regisseur Jan Komasa inszeniert die an mehreren realen Vorfällen orientierte Geschichte psychologisch dicht und durchaus spannend, mit einigen leichten Zwischentönen im ernst-bedrückenden Setting. (maw)
📽 Trailer | „Corpus Christi“