Kino in Corona-Krise

Die Flucht zurück nach vorne: Nolans „Tenet" läuft schließlich an

Der namenlose Weltenretter und sein Sidekick: John David Washington und Robert Pattinson in „Tenet“.

Christopher Nolans „Tenet“ ist der erste und vorerst wohl einzige Blockbuster eines krisengeplagten Kinosommers. In Europa läuft er nächste Woche an.

Von Marian Wilhelm

Innsbruck – Das Kino tritt die Flucht nach vorne an. Kommende Woche startet mit Christopher Nolans bombastisch-wuchtigem „Tenet“ doch noch ein Blockbuster in den krisengeplagten Kinosommer. Pandemie-bedingt mehrmals verschoben, passt die globale Weltrettungsgeschichte mit Sci-Fi-Elementen inhaltlich wie die Faust auf’s Auge, in einem Jahr, in dem eine Zeitreise vor oder zurück der einzige Ausweg zu sein scheint. So gesehen sind der Aufschub und sogar die digitalen Verzögerungen beim Wiener Presse-Preview fast schon Teil der Story, die der analog gedrehte Film in Zeiten wie diesen auch noch miterzählt.

Denn nicht nur Corona, auch die neue Bürgerrechtsbewegung in Amerika ließe sich am afroamerikanischen Hauptdarsteller anknüpfen. Während schon lange darüber diskutiert wird, ob der nächste James-Bond-Darsteller vielleicht kein Weißer mehr sein könnte, erfindet der Brite Christopher Nolan nämlich kurzerhand seinen eigenen afro-amerikanischen Super-Geheimagenten. So wie ihn der Film und Hauptdarsteller John David Washington („BlacKkKlansman“) zeichnen, ist der Protagonist von „Tenet“, auch ohne britischen Akzent, eine Art James-Bond-Figur. Elegant-cool, äußerst risikofreudig und in jedem Moment allzu selbstsicher. Mehrmals besteht er explizit darauf, als „eiskalter Krieger“ der Protagonist dieser Geschichte zu sein. Seinen Namen behält er allerdings ebenso zurück wie seine Cocktail-Preferenz. Dafür muss er sich von Sir Michael Crosby (Michael Caine) vom britischen Geheimdienst über seinen minderwertigen Maßanzug belehren lassen. Seine Weltrettungsabenteuer samt bombastischen Verfolgungsjagd-Stunts führen ihn auf eine Sightseeing-Tour um die ganze Welt, vom Kiewer Opernhaus über Estland, Italien, Indien nach Russland.

📽️ Video | Trailer zu „Tenet"

Für eine globale Geschichte hat der Film auch ein recht überschaubares Personal, namenlose Fußsoldaten ausgenommen. Superbösewicht Andrei Sator (Kenneth Branagh) ist ein typischer post-sowjetischer Oligarch mit Yacht und einer der MeToo-Ära angemessenen toxisch-brutalen Männlichkeit. Seine Frau Kat (Elizabeth Debicki) dagegen wird als etwas anachronistische Mutterfigur zum Schlüssel innerhalb der Männer-Action. Als Sidekick Neil glänzt Robert Pattinson.

Doch weil der Weltuntergangsplan des Bösewichts diesmal mit einer Art Zeitmaschine zu tun hat, befinden wir uns zugleich auch in einem Science-Fiction-Film. Doch diesmal kommt die Zukunft sozusagen in die Gegenwart und nicht umgekehrt. Keine weit entfernten Weltraumwelten wie in „Interstellar“, eher ein Knobelrätsel wie „Inception“, als dessen Gegenstück „Tenet“ beworben wird. Willkommen im kognitiven Labyrinth von Drehbuchautor Christopher Nolan, das er seit seinem Durchbruch mit „Memento“ (2000) in immer neuen Varianten zelebriert, wenn er sich nicht gerade an der Neuerfindung von Batman versucht: „Mind-bending“ und „mind-blowing“ nennt sich das im Englischen. Eine Inhaltsangabe ist ebenso schwierig wie gefährlich – und letztlich auch sinnlos. Angesichts absichtlich unverständlicher Dialoge stellt sich zudem die Frage, ob Nolan seinen verknoteten Plot nicht bewusst mit viel Gerede vernebelt. Kurzum: Auf der Inhalts­ebene ist „Tenet“ überkomplex – und stolz darauf.

Dabei ist die zentrale Idee des Films einfach. Das Rätsel, um das sich die eben gerade nicht lineare Geschichte spiralförmig windet, wird recht bald von einer Wissenschafterin im weißen Kittel (Clémence Poésy) erklärt: Während die Zeit vorwärtsläuft, lassen sich Menschen und Objekte bisweilen zurückdrehen. Das ist weniger ein quanten- oder sonstwie-physikalisches Konzept als eine genuin kinematografische Idee. Nolan setzt also nicht erst beim Schnitt an, wie einst in „Memento“. Er geht zur Laufrichtung des filmischen Bildes selbst zurück, mit dem schon die Filmpioniere der vorletzten Jahrhundertwende zauberten. In Anlehnung an diese Vorväter des Attraktionskinos verzichtet auch Nolan vielfach auf digitale Tricktechnik, sondern setzt auf analoge Schauwerte.

Das passt, ist doch Christopher Nolan der vielleicht vehementeste Verfechter analoger Film- und Kinokultur. Er hat auch „Tenet“ wieder auf 70-Millimeter-Filmmaterial gedreht. Überhaupt ist der von Star-Kameramann Hoyte van Hoytema gedrehte Film reich an dreckiger Textur. Keine Spur von futuristischem Hochglanz. Zuweilen wirkt das Setdesign trotz vieler pittoresker Außen-Sequenzen aber auch etwas zu gewöhnlich. Der Showdown ist in der grauen Schotterruine einer verlassenen Stadt angesiedelt. Der Schnitt von Jennifer Lame ist dagegen angenehm temporeich und trotz Plot-Rätseln nie verwirrend.

„Tenet“ ist ein wuchtiger Actionfilm, der sich erwartungsgemäß etwas zu ernst nimmt. Das Versprechen, das im Palindrom des Titels liegt, löst er jedoch in eindrucksvollen Szenen ein. Nur an der Oberfläche kopflastig, liefert er in Wahrheit eine Kino-Baucherfahrung. Und vielleicht ist es genau das, was das Kino im Gegensatz zum kleinen Bildschirm zu Hause bieten kann.

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