Eröffnung vom Festival Klangspuren: Blätter im Wind des Unermesslichen
Musik, die unsere Zeit spiegelt, von Kerschbaumer, Hölszky und Kühr zur Eröffnung des Klangspuren-Festivals.
Von Ursula Strohal
Schwaz – Als die Salzburger Festspiele mitten in der Corona-Pandemie heuer wenigstens verknappte Spiele durchsetzten, war das ein Signal für andere Festival-Veranstalter, in Tirol für die Festwochen der Alten Musik und Klangspuren Schwaz. Was dafür geleistet wurde, ist mehr als beachtenswert, da sich nicht nur Zufallsabende ergaben, sondern konzeptuelle Programme. Seit März hat Reinhard Kager für Klangspuren unter dem Motto „Zeitzeichen“ neue Zeitbezüge, Aspekte und Verschränkungen kuratiert. Der Eröffnungsabend vergangenen Freitag im Schwazer Silbersaal begann mit Erklärungen der Veranstalter und verdientem Dank von Seiten der Stadt Schwaz und dem Land Tirol.
Dann die Zeichen der Zeit, wie sie der Südtiroler Hannes Kerschbaumer – „Ich schreibe keine Melodien mehr“ – in seinem Orchesterstück „Schiefer“ komponiert. Ein siebenminütiges Ereignis, aus der Stille auftauchend und dorthin abtauchend. Dazwischen Schichten, Klüfte, die in ein Inneres führen, lärmend, doch auch gestopft, gedämpft. Der Gesteinstitel verleitet dazu, gleichsam anorganisch zu hören, aber dann entweicht doch der Druck, die Farben der Instrumente bekommen Entsprechungen, das Gestein atmet.
Das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck weiß in seiner Vielseitigkeit auch mit Neuer Musik umzugehen. Es bestand an diesem Abend aus lauter Solisten, die ihre Qualität adäquat ausspielten. Am Pult der für schwierige Neue Musik immer wieder unverzichtbare Titus Engel, ungemein souverän im Technischen und in der Übertragung in Musik.
Adriana Hölszkys Violinkonzert von 2018 holt alle Magie aus der Reduktion eines Streichorchesters, das sie immer neu zu gruppieren, zu färben weiß, das überrumpelnd Fülle und Schärfe zeigt, den Kontrabassisten zusätzlich zum Percussionisten macht und sich in die Stille der Poesie zurückzieht. Das Flackern und Irisieren der Violinen, sagte die Komponistin im Pausengespräch, gleiche dem Flattern der Waldesblätter im Wind, jedes mit eigenem Leben. Musikalisch erweitert sie damit, wie auch mit den ebenso streng strukturierten Brüchen und Reibungen, den Werktitel „Apeiron“ vom Unbegrenzten, Unbestimmten, Unermesslichen ins bis heute nicht restlos Definierte seiner Bedeutung. Musik unserer Zeit.
Martin Mumelter charakterisiert, präzisiert und weitet gleichzeitig das Stück im Solopart mit seinem kristallin reinen, doch weichen Geigenton, glanzvoll und überlegen in den horrenden Schwierigkeiten. Wenn Gerd Kühr sagt, Musik habe die Funktion, auf Unbeantwortetes hinzuweisen, schließt er da an.
In seiner „Música pura“ lässt er freilich alles weg, was ihm außer Klang zu Gebote stünde, eine „reine Musik“ soll es sein. Gitarre, Celesta, Orgel und Akkordeon färben zusätzlich das Orchester. Zwischen seine fünf Sätze streut er Bearbeitungen von Musik des 14. und 16. Jahrhunderts, die Harrison Birtwistle und Peter Maxwell Davies mit Temperament in die Gegenwart transferierten.