Patricia Kopatchinskaja in Innsbruck: Superlativ dringend gesucht
Großartig: Patricia Kopatchinskaja und die Wiener Symphoniker gastierten im Innsbrucker Congress.
Innsbruck – Da sitzt man also, Papier und Kuli in der Hand, und rätselt darüber, wie man die eben erlebte Darbietung in Worte fassen könnte. Vielleicht, indem man eine neue Form von Superlativ in Stellung bringt, sprachliche Konventionen ignorierend.
Also dann: virtuosest. Anders kann man den Auftritt von Patricia Kopatchinskaja bei den beiden Meisterkonzerten (Doppeltermin wegen Corona-Beschränkung) Dienstagabend im Congress nicht annähernd beschreiben.
Schutzmaske abgelegt, das Schuhwerk abgestreift (Frau K. spielt gerne barfuß) und schon legt die aus Moldawien stammende Violinistin los. Maurice Ravels „Tzigane“, eine Rhapsodie für Violine und Orchester, liegt auf den Notenpulten. Die Wiener Symphoniker, Kopatchinskajas standesgemäße musikalische Begleitung, überlassen der Geigerin zunächst für Minuten zuhörend die Bühne.
Die Solistin sprüht vor Spiel- und Lebensfreude. Sie blinzelt keck in Richtung von Chefdirigent Andrés Orozco-Estrada, wendet sich den Solisten im Orchester zu, das nun das Geigenspiel einfühlsam ummantelt, ohne je zu viel an klanglichem Raum für sich selbst zu beanspruchen. Es folgt ein Feuerwerk an Noten und Stilistiken, irrsinnige Griffe und Läufe, ein musikalischer Facettenreichtum, der sprachlos macht.
Enthusiastisch ist das Echo im Saal. Die Zuhörer, diszipliniert maskiert und angehalten, nicht durch Bravorufe allfällig Gefährdung hervorzurufen (Aerosole?), holen lautstark klatschend das Letzte aus den Patschhändchen.
Und was tut Kopatchinskaja? Sie gibt Zugaben, nicht weiter überraschend. Doch dann diese Geste und Reverenz an das Klangkollektiv des Abends: Sie bittet zwei der Symphoniker zum Duett zu Musik von Zoltán Kodály und Darius Milhaud. Sympathisch und nachahmenswert!
Teil 2 des pausen- und getränkelosen Abends (schon wieder Corona) gehört allein den Wiener Symphonikern. Sie geben Beethovens 5. Sinfonie, die mit dem Schicksal, oft gehört, nahe an der Aufführungsüberdosis, und dann ein solches Ereignis. Der neue Symphoniker-Chef Orozco-Estrada, ein südamerikanisches Vollblut am Dirigentenpult, treibt sein Orchester zu einer denkwürdigen Wiedergabe des Beethoven-Standardwerks. Temporeich, intensiv, leidenschaftlich, mit, bei aller Dramatik, genug Platz für akzentuierte Bläsersätze und das gelegentliche Wiener Streicherschmalz, als Balsam für die Seele.
Es ist die Art von Konzert, deren Ende stets zu früh kommt. Gerne hätte man noch mehr davon. (mark)