„Wiener Bilder“ des rasenden Fotoreporters Lothar Rübelt

Historisch Interessierten ist Lothar Rübelt (1901 - 1990) vor allem wegen innovativer Fotografien von Fußball-, Leichtathletik- oder Radsportszenen bekannt. Mit seiner „Leica“ machte er in der Zwischenkriegszeit mit damals unerreicht aktionsgeladenen Ablichtungen Furore. Dass dieser Bildchronist des 20. Jahrhunderts aber auch in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft oder Kultur den Finger stets am Auslöser hatte, zeigt ein neues Buch namens „Wiener Bilder“.

Der 160 Seiten und 240 Fotografien umfassende Band in der Edition Winkler-Hermaden trägt den Titel „Wiener Bilder“, und das ist durchaus treffend: So hieß eine beliebte Illustrierte, die von 1896 bis 1939 erschien und auch Rübelts Fotografien gerne abdruckte. Der 1901 in der seinerzeitigen k.u.k. Reichsmetropole geborene und 1990 in Kärnten verstorbene Fotograf versorgte in der Ersten Republik und auch in der Ära der Nationalsozialisten, denen er eine Zeit lang durchaus nahestand, den ständig wachsenden Markt der Bildillustrierten mit Fotomaterial.

Dass er die damals üblichen Filmkapseln meist umgehend per Motorrad in die Redaktionen brachte, zeigt, mit welchem Schwung „der rasende Fotoreporter“ unterwegs war. Sport, Gesellschaft und Politik, aber auch Mode, Theater und Film oder Alltagsszenen gehörten zu seinen Sujets, mit denen er die unterschiedlichsten Zeitschriften, vom nationalsozialistischen „Notschrei“ (später: „Das Zeitbild“) bis zum sozialdemokratischen „Kuckuck“, das „Interessante Blatt“ und die renommierte „Berliner Illustrirte Zeitung“ belieferte, schreiben die Autoren Matthias Marschik, Historiker an der Universität Wien, und Michaela Pfundner vom Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, aus dem auch das Fotomaterial stammt.

Rübelt sei entscheidend „an der Entstehung und Entwicklung einer modernen Bildsprache“ beteiligt gewesen, analysieren sie. Und das vor allem im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Während der zweiten Hälfte seines fast 90-jährigen Lebens konnte er sich mit gewissen Entwicklungen wie der Farbfotografie nur schwer anfreunden.

Nach 1945 wurde Lothar Rübelt daher zunehmend ruhiger, auch wenn er immer noch präsent war. Seiner Sportleidenschaft, die ihm 1936 auch ein Engagement bei den von den Nazis propagandistisch ausgeschlachteten Olympischen Spielen eingebracht hatte, blieb er aber lange treu. Die Winter-Olympia 1964 in Innsbruck war das letzte sportliche Großereignis, bei dem er als Bildberichterstatter akkreditiert war.

In dieser Zeit begleitete er auch Politiker zu Auslandsreisen. In dem Bildband enthalten sind Impressionen einer Reise von Bundeskanzler Julius Raab nach Japan. Doch wurden im Lauf der Zeit seine Motive und seine Arbeitsweise immer „leiser“ wie Marschik und Pfundner konstatieren. Sie haben den umfangreichen fotografischen Nachlass Rübelts für diesen Band akribisch durchforstet und eine Auswahl seiner bemerkenswertesten - teils auch unveröffentlichten - „Wiener Bilder“ getroffen.

Das Resultat ist eine Zeitreise durch das Wien der frühen 1920er bis in die späten 1970er-Jahre. Alltagsszenen wie Kofferträger und Taxidroschken-Schlangen vor dem alten - im Zweiten Weltkrieg zerstörten - Westbahnhof oder Schnappschüsse der Ausschreitungen rund um den Brand des Wiener Justizpalastes im Jahr 1927 sind ebenso darunter wie das Begräbnis des Literaten Hugo von Hofmannsthal auf dem Friedhof in Kalksburg 1929 oder ein Auftritt von „Miss Austria“ und „Miss Universe“ Lisl Goldarbeiter beim „Concours d‘Elegance 1931“ vor dem Schloss Schönbrunn. Spätere Bilder zeigen etwa, wie sich das Automobil der Inneren Stadt zunehmend bemächtigte und historische Stätten wie die Innehöfe der Wiener Hofburg zu Parkplätzen zunehmende degradiert wurden.

Letztlich entstand so über die Jahrzehnte mit dem Objektiv ein subjektives Stadtporträt. Aber nicht nur das, meinen Marschik und Pfundner: „Denn die Auswahl seiner Motive reflektiert ja nicht nur persönliche Präferenzen, sondern ebenso die Bedürfnisse der Auftraggeber und nicht zuletzt eine gesellschaftliche Perspektive. All das hatte Einfluss darauf, welche Szenen, Geschehnisse und Blickwinkel es wert waren, fotografisch festgehalten und rezipiert zu werden.“ Also ist das neue Buch in vieler Hinsicht ein sehenswertes Zeitdokument...

S E R V I C E - Matthias Marschik/Michaela Pfundner: Wiener Bilder. Fotografien von Lothar Rübelt. Edition Winkler-Hermaden, Wien 2020. 160 Seiten mit 240 Fotografien; 34,90 Euro. ISBN: 978-3-9519804-0-9. Am 11. November um 19.00 Uhr ist eine Präsentation in der Buchhandlung Thalia (Wien Mitte) geplant.

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