Komplexitätsforscher: Lockdown und steilere Lernkurve nötig

Angesichts der aktuellen Covid-19-Entwicklung führte kein Weg am harten Lockdown in Österreich vorbei. „Die Fallzahlen sind viel zu hoch“ und ob die täglichen Zuwächse nun 7.000 oder 9.000 betragen, sei fast schon unerheblich, so der Komplexitätsforscher Peter Klimek zur APA. Bis Anfang Dezember lande man hoffentlich bei 1.000 bis 2.000 Neuinfektionen pro Tag. Bis dahin müsse die Lernkurve zu Präventionsmaßnahmen deutlich steigen, um einen neuerlichen Shutdown zu vermeiden.

„Wir sind mit den Fallzahlen am systemkritischen Bereich“. Der „Lockdown light“ habe zwar offenbar eine „leicht bremsende Wirkung“ gezeitigt, die sei allerdings viel zu gering gewesen, um in absehbarer Zeit aus der schwierigen Pandemiesituation herauszukommen. „Daher war eine Maßnahmenverschärfung unumgänglich - die fällt jetzt sehr hart aus“, so der Wissenschafter vom Complexity Science Hub Vienna (CSH) und der Medizinischen Universität Wien am Sonntag.

In den vergangenen zwei Wochen wurden rund 0,5 Prozent der Bevölkerung positiv getestet. Gehe man davon aus, dass die Dunkelziffer doppelt, drei- oder vierfach höher liegt, ist klar, dass bei größeren Menschansammlungen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Infizierte anwesend sind. „Das Virus ist jetzt so breit in allen Settings und Bevölkerungsgruppen drinnen, dass man auch in jedem Bereich nachschärfen musste“, so der Wissenschafter.

Leider habe der leichte Lockdown, mit dem Ziel der Reduktion der Freizeitkontakte, nicht das Erhoffte gebracht. Aufgrund der unklaren Datenlage mit den vielen Nachmeldungen im Epidemiologischen Meldesystem des Bundes (EMS) konnte das Prognosekonsortium, dessen Teil das Team des CSH ist, auch nicht zuverlässig analysieren, wie die Wirkung bisher war. Ob jetzt Ende der Woche der Höhepunkt erreicht wurde oder nicht, traue sich keiner der beteiligten Experten zu sagen, „weil wir nicht wissen, ob morgen irgendwo noch 2.000 Fälle gefunden werden, die in einer Meldeschiene hängen geblieben sind“.

Der totale Lockdown entpuppte sich in einer internationalen Analyse der Wissenschafter aus dem Sommer, die überarbeitet Anfang der kommenden Wochen im Fachblatt „Nature Human Behavior“ erscheint, jedoch als nicht übermäßig effektiver als andere mögliche Maßnahmenkombinationen. Ob das neuerliche Herunterfahren Österreichs nun auch längerfristig seinen Zweck erfüllt, „kommt auf die Folgestrategie an“.

Hier brauche es deutliche Verbesserungen, damit nicht nach dem Weihnachtgeschäft mit vollen Einkaufszentren und Familientreffen in der Folge wieder ein dritter Lockdown unter dem Christbaum liegt. „Deswegen ist so entscheidend, dass wir diese Zeit jetzt nutzen, um sinnvolle Präventionskonzepte auf die Beine zu stellen. Sonst fallen wir wieder auf das zurück, was das Einzige war, das im März und auch jetzt funktioniert hat - nämlich den neuerlichen harten Lockdown“, sagte Klimek.

Ganz zentral ist hier das hinlänglich bekannte „Testen, Tracen, Isolieren“, das bekanntlich schlecht funktioniert hat. „Das muss aufgestockt werden. Wenn nicht jetzt, wann dann?“, sagte Klimek. Dann müsste auch der Handel mit einem „sinnvolleren Präventionskonzept ausgestattet werden, als wir das bis jetzt gehabt haben“. Hier brauche es auch praktikable und datenschutzkonforme digitale Lösungen zur Kontaktnachverfolgung.

Beim raschen Testen hätten sich in Österreich zuletzt viele neuen Optionen aufgetan. Diese gelte es nun zu nutzen, so der Forscher. Da es im Schulbereich so aussehe, dass das Infektionsgeschehen eher vom Lehrkörper ausgehe, könne man drüber nachdenken, in stark betroffenen Gebieten Massenscreenings unter Pädagogen durchzuführen, um großflächige Schulschließungen zu verhindern. Sind die Fallzahlen wieder niedriger, müssten Maßnahmensetzungen auch wieder stärker nach Regionen und möglichst nicht landesweit erfolgen: „Das System mit Ampel, etc. war an sich gut konzipiert, aber es ist an der praktischen Umsetzung gescheitert.“

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