Weibliche Hormone und X-Chromosom mildern Krankheitsverlauf

Erste Studienergebnisse bieten Aufschluss darüber, warum eine Covid-19-Erkrankung bei Frauen tendenziell milder verläuft und seltener zu einer Hospitalisation oder zum Tod führt als bei Männern. Bettina Toth, Klinikdirektorin an der Innsbrucker Universitätsklinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, verwies im APA-Gespräch auf internationale Studien, die die positive Auswirkung weiblicher Hormone und des X-Chromosoms belegen.

Genderspezifische Unterschiede seien nicht nur vor der Menopause, sondern auch bei den 71- bis 83-jährigen Patienten signifikant. Dies wirke sich auch auf Hormonersatztherapien aus, die von Frauen mit menopausalen Beschwerden in Anspruch genommen werden, erklärte Toth. Unterschiedliche Studien würden darauf hindeuten, dass „weibliche Hormone im Zusammenhang mit Coronaviren etwas total Positives sind“.

Studien würden belegen, „dass es bei von SARS-Cov-, MERS- oder Covid-19-Viren induzierten Krankheiten deutliche genderspezifische Unterschiede in der Schwere, sowie in der Hospitalisierungs- und Sterberate“ gäbe. Bei Covid-19-Toten liege, so erklärte die Gynäkologin, das Verhältnis bei rund 60 zu 40 Prozent. „Es sterben deutlich mehr Männer als Frauen an oder mit Corona, über alle Altersgruppen hinweg.“

Es stelle sich also die Frage, „warum es Frauen besser geht und wie man die Erkenntnisse auf die Behandlung coronakranker Menschen anwenden kann“. Eine Studie aus Wuhan würde erste spekulative Erkenntnisse liefern, dass sich weibliche Hormone, vor allem Östrogen, positiv auf eine Corona-Erkrankung auswirken. Vereinfacht gesagt, ließe sich das möglicherweise mit der Tatsache erklären, dass Östrogen den ACE2-Rezeptor herunterreguliere und die Spike-Proteine des Coronavirus somit schlechter an die Rezeptoren andocken können. „Es kommen somit weniger Coronaviren in die Gastzelle“, fasste Toth zusammen. Ferner wirkten Östrogene direkt immunstimulierend, weshalb Frauen möglicherweise besser in der Lage sind, die Virusinfektion unter Kontrolle zu bringen.

Diese Erkenntnis habe in den USA bereits zu einer konkreten Interventionsstudie geführt. An Covid-19 erkrankte Männer und Frauen würden dort im Rahmen einer Phase-2-Studie mit Östrogenpflastern behandelt, berichtete Toth.

Abgesehen von Hormonen gebe es einen weiteren geschlechtsspezifischen Unterschied, der sich ersten Erkenntnissen nach auf den Verlauf einer Coronainfektion auswirke, führte Toth aus. So sitze eine Vielzahl von Genen, die auf die Immunantwort reagieren, auf den X-Chromosomen, von denen Frauen zwei und Männer nur eines haben. „Deshalb könnte die Immunantwort bei Frauen stärker ausgeprägt sein als bei Männern“, so die Innsbrucker Medizinerin.

Die eine Studienpopulation von 78 Probandinnen umfassende Studie aus Wuhan würde zudem zeigen, dass der Östrogenspiegel eine wesentliche Rolle spiele. Dies führe auch dazu, dass die genderspezifischen Unterschiede in dieser Studie nur vor der Menopause signifikant seien. Nach der Menopause fällt der Östrogenspiegel. „Nicht-menopausale Frauen weisen eine geringere Hospitalisationsrate und frühere Entlassung auf als Frauen in der Menopause“, zitierte Toth aktuelle Studienergebnisse.

Die Ergebnisse wirken sich auch auf Toths Tätigkeitsbereich an der Innsbrucker Klinik aus. Denn der Umstand, dass sich eine Hormontherapie positiv auf eine mögliche Coronainfektion und abmildernd auf deren Verlauf auswirken könnte, könne als zusätzlicher Nutzen einer solchen Therapie gesehen werden. Grundsätzlich gelte es, Vor- und Nachteile im Einzelfall und nach ausgiebiger, individualisierter Beratung abzuwägen. „In Zeiten der Pandemie wollen wir gerade Frauen über 55 Jahre schützen. Möglicherweise könnte eine Hormontherapie die Immunantwort positiv beeinflussen“, so Toth. Es blieben noch viele spannende Fragen im Zusammenhang mit geschlechterspezifischen Reaktionen auf das Coronavirus offen, räumte die Medizinerin ein.

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