Corona brachte ein Wahljahr wie kein anderes
Wahlbeobachtung und -forschung mussten im Pandemie-Jahr anders ablaufen als sonst. Künstliche Intelligenz bleibt ein Riesenthema.
Carmen Baumgartner-Pötz
Wien, Innsbruck –2021 wird vermutlich das Jahr des großen Nachholens werden – und damit sind nicht nur Partys gemeint. Eigentlich hätten der Innsbrucker Politologe Armin Rabitsch und seine Kollegen im Oktober ihre Ende 2019 durchgeführte große Wahlbeisitzer-Studie im Parlament präsentieren sollen; ein geplanter Anknüpfungspunkt für eine mögliche Wahlrechtsreform. Rund 1000 Wahlbeisitzer wurden dafür zu ihrer Motivation und ihren Erfahrungen befragt, Verbesserungsvorschläge erarbeitet. Der Termin war schon einmal vom Mai in den Herbst verschoben worden, Pandemie-bedingt heißt es nun wieder warten. „Aber die Ergebnisse verjähren ja nicht so schnell“, sagt Rabitsch im Gespräch mit der TT über das vergangene und das kommende Jahr.
Rabitsch und seine Kollegen Paul Grohma und Michael Lidauer sind normalerweise in Ländern wie Haiti, Myanmar oder Zimbabwe als Wahlbeobachter und Wahlexperten im Einsatz; für internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen, die OSZE oder die EU. Insgesamt waren sie schon in 50 verschiedenen Ländern, um Wahlen zu beobachten, zu analysieren und um Verbesserungen vorzuschlagen und umzusetzen. Um internationale Erkenntnisse auch im eigenen Land einzubringen, haben die drei Österreicher vor einigen Jahren die unparteiische Arbeitsgemeinschaft Wahlbeobachtung.org gegründet.
Corona hat auch das Arbeitsjahr 2020 der jungen NGO stark geprägt: „Mehr Desk-Arbeit/Berichte schreiben und weniger im Feld unterwegs sein“, fasst Rabitsch zusammen. Und: kein Nachteil ohne Vorteil. Zwar ließen sich manche Veranstaltungen einfach nicht so gut rein online oder in Hybrid-Form abhalten. So musste etwa ein für Dezember geplanter Workshop für eine junge Generation albanischer Wähler abgesagt werden. Er soll jetzt vor den nächsten albanischen Parlamentswahlen (25. April 2021) stattfinden.
Andererseits „verflacht sich die Autoritätspyramide“, wie Rabitsch schildert. Leichter als sonst bekomme man in Pandemie-Zeiten z. B. hohe Stellen, etwa auf EU-Ebene, für Webinare oder Online-Besprechungen.
Bereits im Frühjahr haben die Wahlbeobachter in einer Kurzstudie zum Thema Covid-19 und Wahlen in Europa die Auswirkungen der Krise auf Wahlprozesse in allen EU-Mitgliedstaaten, in Großbritannien sowie den EU-Beitrittskandidaten Albanien und Nordmazedonien analysiert. Ausgehend davon wurde dann die Wiener Landtagswahl im Oktober genau beobachtet, der ausführliche Bericht darüber wird Ende Dezember veröffentlicht.
Im Großen und Ganzen sei die Wahl unter Corona-Bedingungen sehr gut abgelaufen, Verbesserungspotenzial orten die Wahlbeobachter freilich trotzdem: „Die Zahl der Briefwähler ist durch die Pandemie stark gestiegen. Eine Bestätigung für Briefwähler, dass ihre Wahlkarte angekommen und gezählt wurde – oder eben nicht, weil sie ungültig war, wäre hilfreich“, regt Rabitsch für künftige Wahlgänge an. Immer noch vergessen viele Briefwähler, am Kuvert zu unterschreiben. Bei einer entsprechenden Rückmeldung wüssten sie für das nächste Mal immerhin Bescheid,
Für 2021 haben sich die Wahlbeobachter unter anderem das Thema Künstliche Intelligenz im Wahlprozess und die politische Auseinandersetzung in sozialen Netzwerken vorgenommen – Stichwort Algorithmen und Micro-Targeting im Netz. Die EU-Kommission überlegt hier eine gewisse Regulierung, um der Gefahr der Desinformation bzw. Deep Fakes einen Riegel vorschieben zu können. „Das wird uns sicher noch länger begleiten“, glaubt Rabitsch.