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„Was wir wollten“ von Tirolerin Ulrike Kofler: Unglück hinter perfekten Fassaden

Lavinia Wilson und Elyas M’Barek spielen in „Was wir wollten“ ein Paar, dessen Kinderwunsch unerfüllt bleibt.
© filmladen/netflix

„Was wir wollten“ ist das Regiedebüt der Tirolerin Ulrike Kofler und Österreichs Kandidat für den Auslandsoscar. Das Drama soll ehestmöglich ins Kino kommen. Morgen startet es auf Netflix. Die TT hat mit Kofler darüber gesprochen.

Innsbruck – „Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“ So hebt Tolstois Roman „Anna Karenina“ an. Auch Ulrike Koflers Debütfilm „Was wir wollten“ könnte so beginnen. Zwei ganz unterschiedliche Paare treffen im Urlaub aufeinander. Beide sind unglücklich. Das eine (Lavina Wilson und Elyas M’Barek) wünscht sich ein Kind, das andere (Anna Unterberger und Lukas Spisser) bekam früh Kinder – und fühlt sich dadurch in der Lebensplanung eingeengt.

Die Innsbruckerin Ulrike Kofler machte sich als Filmeditorin einen Namen. „Was wir wollten“ ist ihre erste abendfüllende Regiearbeit.
© Russmann

„Was wir wollten“ ist ein leises Drama, eine sensible Beziehungs- und Charakterstudie. Im Oktober kürte der Fachverband der heimischen Film- und Musikwirtschaft „Was wir wollten“ zum österreichischen Kandidaten für den Auslands­oscar. Im November startete der Film außerhalb Österreichs auf Netflix. Hierzulande soll „Was wir wollten“ so bald wie möglich in die Kinos kommen – ist allerdings ab Dienstag auch beim US-Streamingdienst abrufbar.

Ich gehe davon aus, dass Sie sich die Premiere Ihrer ersten Regiearbeit anders vorgestellt haben.

Ulrike Kofler: Allerdings, aber die Umstände lassen es nicht zu. Aber ich kann mich nicht wirklich aufregen, im Vergleich zu vielen Kolleginnen und Kollegen habe ich großes Glück. Durch die Netflix-Lizensierung liegt der Film nicht in einer Schublade, sondern ist außerhalb Österreichs bereits viel gesehen worden. Trotzdem ist es mir wichtig, dass „Was wir wollten“ in Österreich noch in die Kinos kommt.

War der Verkauf der Weltrechte am Film an Netflix eine Reaktion auf die Pandemie?

Kofler: Nein, das hat sich schon vorher ergeben. Netflix hat Interesse bekundet, als der Film noch in Arbeit war. Da hatten wir von Corona noch keine Ahnung.

Der Film ist ein intensives Beziehungsdrama. Nicht gerade das, was man sich gemeinhin als typischen Netflix-Film vorstellt.

Kofler: Ich habe mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass Netflix anklopft. Wir haben den Film als Kinofilm gedreht. Aber auch Netflix erweitert sein Repertoire – und sichert sich dabei auch Filme aus dem Arthouse-Bereich. Die Besetzung mag dabei eine Rolle gespielt haben: Elyas M’Barek zählt zu den populärsten Schauspielern des deutschen Sprachraums. Aber ich glaube, dass auch das Thema wichtig ist: Kinderwunsch und Kinderlosigkeit sind Themen, die viele beschäftigen und auf große Resonanz stoßen.

📽️ Trailer | „Was wir wollten“

Der Film ist seit mehr als einem Monat in gut 190 Ländern abrufbar. Netflix geizt gegenüber Medien mit konkreten Zahlen. Wissen Sie mehr?

Kofler: Konkrete Zahlen kenne ich auch nicht. Aber ich weiß, dass Netflix zufrieden ist. In Deutschland ist der Film sehr beliebt. Aber auch in Südamerika und Osteuropa ist das Interesse groß. Das ist natürlich eine schöne Bestätigung. Aber es fühlt sich auch seltsam abstrakt an. Mir fehlt der direkte Kontakt mit dem Publikum. Selbst viele, die am Film mitgearbeitet haben, haben ihn noch nicht gesehen. Dass sie das jetzt daheim tun und es keine gemeinsame Premiere gibt, ist sehr schade. Aber das holen wir nach.

Als Editorin verantworteten Sie den Schnitt von Kinofilme wie Josef Haders „Wilde Maus“. Mit der Regisseurin Marie Kreuzer arbeiten Sie seit Jahren zusammen. Bei „Was wir wollten“ wechselten Sie nun die Rollen. Sie führten Regie und Kreuzer schnitt den Film. Was hat Sie dazu bewogen?

Kofler: Den Wunsch, zu schreiben und zu inszenieren, gab es immer. Deshalb hab ich nach meinem Schnitt-Studium in Wien in Köln auch Regie studiert. „Was wir wollten“ basiert auf einer Erzählung von Peter Stamm. Ich habe sie gelesen – und sie hat mich gefesselt. Ich wollte aus der Geschichte einen Film machen, weil ich die Ausgangssituation faszinierend fand: das Unglück hinter der scheinbar perfekten Fassade. Die Themen Kinderlosigkeit und Kinderwunsch klingen in Stamms Erzählung nur leise an. Das wollte ich vertiefen. Das ist ein großes Zeitthema, das knapp 20 Prozent aller Paare in Europa betrifft – und trotzdem seltsam tabuisiert wird.

Zur Person

Ulrike Kofler, geboren 1974 in Innsbruck, studierte an der Wiener Filmakademie und der Kunsthochschule für Medien Köln. Für den Schnitt von „Wilde Maus“ wurde sie 2017 mit Monika Willi und Christoph Brunner bei der Diagonale ausgezeichnet. Auch ihr Kurzfilm „Wir fliegen“ (2013) gewann mehrere Preise.

Woran, glauben Sie, liegt das?

Kofler: Wir leben in einer neoliberalen Gesellschaft und im Gefühl, dass alles möglich und alles käuflich ist. Wenn etwas nicht möglich ist, nehmen das viele Menschen als persönliches Versagen wahr. In einer Welt, in der alles möglich ist, ist das Unmögliche die große Niederlage, mit der man nicht umgehen und über die man nicht reden kann.

Es gibt im Film auch ein zweites, scheinglückliches Paar, das bedauert, früh Eltern geworden zu sein.

Kofler: Beide Paare haben den Wunsch, das Leben kontrollieren zu können, und große Schwierigkeiten damit, dass das eben nicht immer möglich geht. „Life is what happens to you while you’re busy making other plans”, heißt es bei John Lennon – darum geht es im Film.

In Stamms Erzählung kommt das zweite Paar aus Süddeutschland. Im Film kommt es aus Tirol.

Kofler: Ich wollte, dass sie aus einer Gegend kommen, in der ich mich auskenne. Außerdem lässt sich dadurch das Gefälle zwischen beiden Paaren auch sprachlich herausarbeiten. Das Tiroler Paar und seine Kinder bringen auch etwas Humor in die Geschichte. Ich wollte nicht nur die Schwere erzählen, sondern auch eine gewisse Leichtigkeit.

„Was wir wollten“ geht für Österreich ins Rennen um den Auslandsoscar.

Kofler: Als ich darüber informiert wurde, konnte ich das gar nicht begreifen. Es fühlt sich ähnlich abstrakt an wie der Umstand, dass der Film inzwischen in 30 Sprachen übersetzt und weltweit gestreamt wurde. Die Freude kommt verzögert. Als die Oscarkandidatur öffentlich wurde, gingen wird davon aus, dass der Film auf verschiedenen Festivals gezeigt wird, die dann alle abgesagt wurden. Natürlich ist es eine schöne Bestätigung, dass dem Film so viel Vertrauen entgegengebracht wird. Aber wirklich darüber freuen kann ich mich wohl erst, wenn die Leute, mit denen ich regelmäßig zu tun habe, ihn auch gesehen haben. Unverhofft kommt oft. Das trifft auf „Was wir wollten“ in vielfacher Hinsicht zu.

Auch in puncto Besetzung. Es heißt, dass Elyas M’Barek erst kurz vor Drehbeginn zugesagt hat.

Kofler: Der zunächst vorgesehene Schauspieler fiel kurzfristig aus. Meine Casterin Rita Waszilovics, auch sie ist Tirolerin, hat Elyas vorgeschlagen. Aber wir waren unsicher, ob sich ein Star wie er überhaupt für einen kleinen Debütfilm interessiert. Wir haben vorsichtig angefragt. Es gab Interesse. Schon beim ersten Casting war dann klar, die Chemie zwischen ihm und Lavinia Wilson war genau richtig. Da war genau die Brüchigkeit, die ich für mein Paar gesucht habe. Und Eylas wollte den Film machen. Obwohl er sonst wohl meistens unter ganz anderen Bedingungen arbeitet – produktionstechnisch genauso wie finanziell.

Das Gespräch führte Joachim Leitner

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