Die gute Geschichte: Gemeinsame Schritte zwischen Vergangenheit und Gegenwart
Margit Krismer begleitet Wilfried Hauser bei Spaziergängen. Dabei steigert sie seine Lebensqualität und entlastet die Familie.
Obtarrenz, Imst – „Jeder Schritt muss sitzen.“ Wilfried Hauser sagt das beim Spazierengehen. Er spricht langsam. Er ist bald 80 und nicht mehr ganz sicher auf den Beinen. Trotzdem marschiert er zügig voran. Er konzentriert sich auf seine Füße und setzt die beiden Trekkingstöcke sorgfältig nach jedem Schritt nach. Früher war er ein begeisterter Bergsteiger. „Du musst genau schauen, wohin du trittst. Ein Fehler ist lebensgefährlich.“ Damit meint er die Gegenwart und gleichzeitig auch die Vergangenheit. Er war am Ortler, auf der Wildspitze und am Olperer. „Am schönsten war der Großglockner.“ Das ist alles lange her. Heute macht er seine Runden um den Bauernhof in Obtarrenz. Dort hat er jahrzehntelang mit seiner Frau die Landwirtschaft geführt. Inzwischen lebt er hier schon mit zwei jüngeren Generationen.
Das Gehen und die Bewegung sind nach wie vor seine große Leidenschaft. Dabei kommt er ins Reden. Begleitet wird er von Margit Krismer aus Imst. Alleine soll er nicht mehr unterwegs sein. Denn seine Familienangehörigen sorgen sich um seine Gesundheit. Wilfried lebt seit einiger Zeit mit einer zunehmenden Vergesslichkeit im Alltag. Mit Margit kommt er wieder regelmäßig aus dem Haus. Bis vor Kurzem hat ihn seine Frau Hildegard begleitet. Doch dann ist Wilfried gestürzt und hat sich das Nasenbein gebrochen. Seitdem traut sich Hildegard nicht mehr zu, mit ihm alleine aus dem Haus zu gehen. Spazierengehen war also nicht mehr möglich – bis Margit ins Spiel kam. Sie besucht Wilfried jetzt regelmäßig im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit für die Caritas.
„Gell Wilfried, wir zwei gehen so lange, wie wir wollen!"
Wenn sie kommt, zieht Wilfried seine Schuhe an, nimmt die Stöcke und es geht hinaus. Margit sagt: „Gell Wilfried, wir zwei gehen so lange, wie wir wollen!“, und Wilfried strahlt über das ganze Gesicht. Beim Gehen kommt er ins Philosophieren. Er zeigt auf den Tschirgant, der sich auf der anderen Talseite erhebt: „Da war ich sechs- oder siebenmal oben. Immer mit Albin, der war bei jeder Bergtour dabei. Bei den schwierigen Stellen hat er mich am Seil gehabt. Am Berg musst du dich auf deinen Kameraden verlassen. Dann hast du die Sicherheit.“ Das alles ist ein halbes Menschenleben her. Heute verlässt sich Wilfried auf Margit. Sie nimmt ihn am Arm und gemeinsam marschieren sie weiter, während sie sich unterhalten. Margit fragt ihn, ob damals bei den Bergtouren noch wer dabei war. Wilfried denkt nach und sagt: „Der Hund, der Arco, der war auch dabei.“
Als sie später heimkommen, hat Wilfrieds Tochter Alexandra Kaffee vorbereitet. Alexandra ist Margit dankbar für die Ausflüge. Für ihren Vater bedeuten sie Lebensqualität und für sie selbst sind sie eine Entlastung. Sie hat den landwirtschaftlichen Betrieb bereits vor einigen Jahren von ihren Eltern übernommen und kümmert sich täglich um den Stall. Außerdem ist sie selbstständig und leitet ihren eigenen kleinen Betrieb. Dazu kommen der Haushalt und das tägliche Kochen für acht Personen. Durch die Erkrankung des Vaters ist eine wertvolle Arbeitskraft in der Landwirtschaft weggefallen und eine zusätzliche Herausforderung dazugekommen. Und dann ist da noch die emotionale Belastung: die ständige Sorge um den Vater, dass er sich in eine gefährliche Situation bringt, dass er stürzt oder sich verletzt.
Viel tatkräftige Unterstützung
Irgendwann war Alexandra an dem Punkt angekommen, an dem sie sich eingestehen musste, dass sie das alles nicht mehr alleine schafft. Ein großer Schritt war das Ansuchen um Pflegegeld – ein schmerzvoller und kraftraubender Schritt: Denn dies bedeutete für Alexandra das endgültige Akzeptieren der Erkrankung des Vaters. Zugleich empfand sie es als einen mühsamen bürokratischen Hürdenlauf. Inzwischen bekommt die Familie die notwendige tatkräftige Unterstützung, und zwar bei der Angehörigenberatung der Caritas Imst, beim Sozialsprengel, beim Hausarzt und eben durch Margit.
Sie ist eine von den Freiwilligen der Caritas, die gerne einen Teil ihrer Zeit im Besuchsdienst bei älteren, pflegebedürftigen Menschen schenkt. Wenn Margit kommt, ist der ganze Tag einfacher. Der Vater freut sich schon in der Früh auf den Ausflug. Am Abend ist er müde und zufrieden, so wie heute. Als Margit nach dem Kaffee zum Heimgehen aufbricht, will sie von Alexandra noch wissen, ob Wilfried früher einmal einen Hund namens Arco hatte. Alexandra stutzt kurz und lächelt dann. Sie zeigt auf ihren schwarzen Rüden, der am Küchenboden liegt, und sagt: „Schau her, das ist der Arco.“ (TT)