Post-Brexit-Verhandlungen in finaler Phase

Eine Woche vor Ende der Brexit-Übergangsphase haben die Unterhändler der Europäischen Union und Großbritanniens am Donnerstag letzte Hand an ein umfassendes Handelsabkommen gelegt. Bis zur Verkündung einer endgültigen Einigung könnte es EU-Diplomaten zufolge aber noch einige Stunden dauern. Ähnlich äußerten sich Vertreter der britischen Seite.

Der Pakt soll Zölle verhindern und Reibungsverluste in den Hunderte Milliarden Euro schweren Wirtschaftsbeziehungen so gering wie möglich halten. Zudem soll er den EU-Fischern Zugang zu britischen Gewässern sichern und viele Alltagsfragen klären.

Trotz einer weitgehenden Einigung auf entscheidende Punkte bereits am Mittwoch zogen sich die letzten Verhandlungen am Ende in die Länge. Auch am Donnerstag in der Früh waren letzte Details ungeklärt, wie es aus Verhandlungskreisen in Brüssel hieß. Dennoch wurde weiter ein Deal am Heiligen Abend erwartet.

Die BBC meldete, für den Vormittag sei eine Pressekonferenz geplant. Zuvor telefonierte Premierminister Boris Johnson mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete. Eine offizielle Bestätigung gab es dafür noch nicht. Es gebe aber weiter „Streit um Zahlen“ bei den Fischfangrechten, sagte ein EU-Vertreter. Er sprach von einem „schlechten Zeichen“.

Kommissionssprecher Eric Mamer hatte am frühen Donnerstagmorgen auf Twitter geschrieben, man werde die ganze Nacht über weiter arbeiten. Johnson informierte seine wichtigsten Minister noch in der Nacht über den aktuellen Stand, berichtete die Agentur PA.

Der irische Außenminister Simon Coveney zeigte sich zuversichtlich, dass ein Abkommen noch am Donnerstag vereinbart werden kann. Seine Erwartung sei, dass es „später heute gute Nachrichten“ vor Weihnachten gebe, sagte Coveney dem irischen Sender RTE am Donnerstag.

Der umfassende Handelsvertrag soll einen harten wirtschaftlichen Bruch in letzter Minute vermeiden. Am 31. Dezember endet die Brexit-Übergangsphase und Großbritannien scheidet aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion aus. Ohne Abkommen drohen Zölle und Handelshemmnisse.

Das rund 2.000 Seiten starke Abkommen mit vielen Sonderregelungen und technischen Anhängen müsse nun im Europaparlament genau geprüft werden. Eine vorläufige Anwendung sei aber richtig, sagte der deutsche FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff. Da die Zeit für eine Ratifizierung auf EU-Seite zu kurz ist, ist die vorläufige Anwendung der einzige Weg, mit dem Abkommen den befürchteten harten wirtschaftlichen Bruch zum Jahreswechsel zu vermeiden. Es wurde erwartet, dass die EU-Staaten das dafür nötige Verfahren noch am Donnerstag einleiten - sofern das Abkommen in allen Details rechtzeitig unter Dach und Fach kommt.

Der Streit über künftige Fischereirechte war der letzte große Knackpunkt in den Verhandlungen. Daran wurde bis zuletzt gearbeitet. Bereits am Mittwochnachmittag war eine Grundsatzeinigung beim anderen großen Konfliktthema bestätigt worden: die EU-Forderung nach fairem Wettbewerb, dem sogenannten Level Playing Field. Dabei geht es um vergleichbare Sozial-, Umwelt- und Subventionsstandards, um den EU-Binnenmarkt auf Dauer vor Dumping zu schützen.

Mehrere britische Zeitungen verkündeten Donnerstag früh bereits einen Sieg Johnsons. Der Premier sei kurz davor, zu Weihnachten das Geschenk zu liefern, auf das die Briten so lange gewartet hätten, hieß es in der „Daily Mail“. Die Hoffnungen auf ein „frohes neues Jahr“ stiegen.

„Die EU wird keinen maßgeblichen Einfluss auf unsere Wirtschaft haben“, jubelte die „Sun“. Johnson habe den Brexit mit dem Versprechen durchgesetzt, „die Kontrolle zurückerlangen“. Er sei mit dem Versprechen Premier geworden, „den Brexit zu vollenden und ein Handelsabkommen abzuschließen. Entgegen allen Erwartungen scheint er beides zu erfüllen.“

Ohne Handelsabkommen würden im beiderseitigen Handel zum Jahreswechsel Zölle nach WTO-Konditionen erhoben. Wirtschaftsverbände rechnen dann mit massiven Staus an den Grenzen im Lieferverkehr sowie der Unterbrechung wichtiger Lieferketten der Industrie und warnen vor Milliarden an Mehrkosten und Einnahmeausfällen.