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Angela Merkel tritt nicht mehr an: Wahlen in eine ungewisse Zukunft

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel (CDU) tritt bei der Bundestagswahl im Herbst nicht mehr an. Dann wird sie 16 Jahre lang das 80-Millionen-Einwohner-Land regiert haben.
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Wer die Geschicke Deutschlands in einem Jahr lenken wird, liegt im Dunkeln. Angela Merkel tritt bei der Wahl im Herbst nicht mehr an. Dafür haben erstmals drei Parteien – und sieben Personen – Ambitionen aufs Kanzleramt.

Von Gabriele Starck

Berlin – Sechs Landtagswahlen und die Bundestagswahl am 26. September werden das politische Deutschland heuer auf Trab halten. Vor allem, weil dieses Mal vieles anders sein wird als sonst.

1. Unwägbarkeit Pandemie. Die Sonntagsfrage, also „Wen würden Sie wählen, wenn heute Bundestagswahl wäre?“, ist noch weniger als sonst auf einen Wahltermin neun Monate später umlegbar. Derzeit beherrscht noch die Corona-Krise das Leben in all seinen Facetten und schlägt sich – nicht nur in Deutschland – in hohen Zustimmungswerten für Regierende nieder. Im Herbst aber dürfte sich die Lage langsam entspannt haben. Zum anderen tritt die bisherige Führungspersönlichkeit schlechthin, Langzeitkanzlerin Angela Merkel, nicht mehr an. Was für die Union ein Nachteil ist, könnte sich für die seit Jahren arg schwächelnde SPD als Vorteil herausstellen. Ihr bereits fixierter Kanzlerkandidat, Olaf Scholz, könnte, wenn er geschickt agiert, als Vizekanzler und Finanzminister den Krisen-Bonus für seine Partei hinüberretten.

Doch allein in seiner Hand liegt das nicht, wie schon die Tatsache zeigt, dass es erstmals drei KanzlerkandidatInnen für eine Bundestagswahl geben wird – und Olaf Scholz dabei eher der Außenseiter ist.

Die SPD hat sich bereits auf Olaf Scholz geeinigt.
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2. Grüne Ambitionen. Erstmals werden auch die Grünen ums Kanzleramt kämpfen. Für die Ökopartei hat der Stimmenanteil 2017 nur zur kleinsten Bundestagsfraktion gereicht. Doch jetzt greift sie nach den Sternen. In Umfragen hat sie sich längst als zweistärkste Kraft etabliert und die SPD hinter sich gelassen. Nach der EU-Wahl 2019 hatte sie zeitweise sogar die CDU/CSU-Union überholt.

Und so geht es für Bündnis90/Die Grünen am 26. September nicht nur darum, ob sie nach 16 Jahren wieder Teil einer Bundesregierung werden. Sie wollen die Regierung anführen. Wer vom grünen Führungsduo – Robert Habeck oder Annalena Baer­bock – den Kampf ums Kanzleramt aufnehmen darf, steht noch nicht fest. Für Habeck spricht, dass er auf Landesebene schon einmal Minister war und dass er 2019 in Umfragen weit bzw. einige Zeit sogar ganz oben in der Rangliste der beliebtesten Politiker Deutschlands stand. Doch das war vor Corona. Baerbock auf der anderen Seite ist eine Frau und wäre die einzige Spitzenkandidatin unter lauter Männern, was der grünen Basis gut gefiele.

Die Grünen müssen zwischen Annalena Baerbock und Robert Habeck entscheiden.
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3. Ungewissheit Union. Die weitaus größte Unbekannte für die Wahl im Herbst ist derzeit noch, wer auf Unionsseite die Nachfolge von Angela Merkel antreten will. Die CDU weiß seit knapp einem Jahr nicht einmal, wer sie künftig anführt. Im Februar 2020 hatte Merkels Wunschnachfolgerin und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer den Vorsitz zur Verfügung gestellt. Ein Parteitag zur Wahl des Nachfolgers kam wegen Corona nicht zustande. In zwei Wochen soll die Entscheidung nun in einer Online-Abstimmung fallen.

Wer die Union in den Wahlkampf führt, ist nicht ausgemacht. Im Spiel sind noch die drei Bewerber um den CDU-Vorsitz, Laschet, Röttgen und Merz.
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Der Ausgang ist völlig offen, denn keiner der drei Kandidaten wird klar favorisiert. Auch nicht der neoliberale Friedrich Merz, der von Merkel 2002 abgesägt worden war und dann bei der Vorsitzwahl 2018 gegen Kramp-Karrenbauer unterging. Er will die CDU in alte konservative Gefilde zurückführen. Doch auch dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet, der Merkels Kurs fortsetzen würde, oder Norbert Röttgen, der 2012 unter Merkel sein Amt als Umweltminister verlor, wird nicht zugetraut, das Kanzleramt sicher verteidigen zu können. Und CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn, der dank der Pandemie derzeit beliebteste Politiker Deutschlands, steht dieses Mal nicht zur Wahl.

Angesichts der CDU-Tristesse blickt Deutschland auf die kleine Schwester CSU und deren Chef: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder geriert sich seit Pandemie-Beginn als harter Hund und Macher, obwohl die bayerischen Corona-Zahlen nie gut waren und es auch nie wurden. Dennoch bringt es Söder auf hohe Sympathiewerte – und das deutschlandweit. Deshalb wird er inoffiziell als heißester Kanzlerkandidat der Union gehandelt. Welcher der vier es sein wird, steht so schnell wohl noch nicht fest. Es reißt sich auch keiner darum: Noch lauern zu viele Corona-Fallstricke. Geht jetzt was schief, müsste es der Nominierte im Wahlkampf als Rucksack mitschleppen.

Gehandelt wird aber auch CSU-Chef Söder.
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4. Landtagswahlen. Zu all diesen Unbekannten gestellen sich noch vier Landtagswahlen vor dem 26. September, die das Stimmungsbild massiv verschieben könnten (siehe unten). Niemand weiß besser als die SPD, wie sehr Regionalwahlen alles umzudrehen imstande sind. 2017 bekam das ihr Kanzlerkandidat Martin Schulz schmerzhaft zu spüren. Als Hoffnungsträger angetreten, stürzt er nach drei SPD-Debakeln bei den Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen in der bundesweiten Wählergunst ab.

Den Grünen könnte der Verlust der Mehrheit in Baden-Württemberg, wo sich der einzige grüne Ministerpräsident, Winfried Kretschmann, am 14. März um eine dritte Amtszeit bewirbt, den Höhenflug vermasseln. In Umfragen liegen die Grünen und der Juniorpartner CDU Kopf an Kopf.

Der CDU wiederum bereiten die Landesverbände im Osten Sorgen, weil diese sich nicht eindeutig von der rechtsnationalistischen AfD abgrenzen. Jüngstes Beispiel sind die CDUler in Sachsen-Anhalt, wo Anfang Juni gewählt wird. Sollte es dort auch nur annähernd Überlegungen für eine Zusammenarbeit mit der AfD geben, wäre das für die Union eine Katastrophe im Bundestags-Wahlkampf.

Sechs Landtagswahlen im Jahr 2021 in Deutschland

Baden-Württemberg, 14. März. Seit 2011 wird das Bundesland mit 11,1 Mio. Einwohnern im Südwesten vom ersten und bislang einzigen grünen Ministerpräsidenten in Deutschland regiert. Und Winfried Kretschmann (72) hat durchaus die Chance auf eine dritte Amtszeit. In seiner ersten regierte er mit der SPD, seit der zweiten mit der CDU. Grün und Schwarz liegen in Umfragen weit vorne und Kopf an Kopf, SPD und AfD sind knapp zweistellig, die FDP drinnen. Für die Linkspartei ist es traditionell schwer im Ländle.

Rheinland-Pfalz, 14. März. Die SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer (59) ist populär und bekannt, allerdings leidet ihre Partei unter der Schwäche der Sozialdemokraten auf Bundesebene. In einer SWR-Umfrage behauptet das rot-gelb-grüne Ampelbündnis zwar eine knappe Mehrheit, doch die CDU liegt mit sechs Prozentpunkten vor der SPD an der Spitze. Die FDP bangt um den Wiedereinzug.

Thüringen, 25. April. Eigentlich wählten die Thüringer ja erst im Oktober 2019, doch ein politisches Erdbeben im Frühjahr 2020 sorgte letztlich dafür, dass wieder gewählt werden muss: Damals war der FDP-Mann Thomas Kemmerich im Landtag mit den Stimmen der rechtsnationalistischen AfD zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Es folgte eine Regierungskrise in Thüringen, in der Bundes-CDU kündigte Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer ihren Rücktritt an. Kemmerich trat zurück, der Linke Bodo Ramelow wurde wieder Ministerpräsident, und die Minderheitskoalition aus Linke, SPD und Grünen und die CDU schlossen eine Stabilitätsvereinbarung bis zur Neuwahl im April. Laut Umfragen dürfte sich das Ergebnis im April nicht viel von 2019 unterscheiden.

Sachsen-Anhalt, 6. Juni. Das 2,2-Mio.-Einwohner-Land hat 2016 die erste Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen gebildet. Ob sie bis zum Wahltag hält, ist unklar. Das Bündnis schlitterte vor Kurzem in eine Krise, weil die CDU-Abgeordneten mit der AfD die bundesweite Anhebung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent blockieren wollten. CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff (66) rettete die Koalition, indem er die Anhebung blockierte und seinen Innenminister feuerte. In Umfragen ist die AfD hinter der CDU nach wie vor zweitstärkste Kraft.

Berlin, 26. September. In der Bundeshauptstadt wird am 26. September nicht nur der Bundestag, sondern auch das städtische Abgeordnetenhaus neu gewählt. Michael Müller, der Regierende Bürgermeister, tritt nicht mehr an. Spitzenkandidatin ist Bundesfamilienministerin Franziska Giffey.

Mecklenburg-Vorpommern, Herbst. Den Abschluss im deutschen Landtags-Wahlreigen bildet ganz im Nordosten Mecklenburg-Vorpommern. Für SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig ist es die erste Wahl. Doch der Juniorpartner CDU liegt in Umfragen mit der SPD gleichauf.

Franziska Giffey (SPD) will als erste Frau Berlin regieren. Gelingt dem Grünen Kretschmann eine dritte Amtszeit?
© AFP/Tochtermann/Reuters/Rehle

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