Londoner Gericht lehnt US-Auslieferungsantrag für Assange ab

Wikileaks-Gründer Julian Assange wird nicht an die USA ausgeliefert. Ein Gericht in London lehnte den US-Antrag am Montag ab. Richterin Vanessa Baraitser begründete ihre Entscheidung mit dem psychischen Gesundheitszustand Assanges und den Haftbedingungen, die ihn in den USA erwarten würden. Es sei damit zu rechnen, dass er sich in Isolationshaft das Leben nehmen werde. Erwartet wurde, dass die USA Berufung gegen das Urteil einlegen.

Vor dem Gericht feierten Anhänger des 49-Jährigen die Entscheidung mit Jubel und Freudensprüngen. Assanges Verlobte Stella Moris, mit der er zwei kleine Kinder hat, brach nach dem Urteil im Gerichtsgebäude in Tränen aus. „Der heutige Sieg ist ein erster Schritt hin zur Gerechtigkeit in diesem Fall“, sagte Moris. Doch zum Feiern sei es noch zu früh. Das werde sie erst nachholen, wenn ihr Partner auf freiem Fuß sei. Noch fürchte sie, dass die USA ihren Partner weiterhin unerbittlich verfolgen wollten. Sie forderte die US-Regierung dazu auf, das Verfahren gegen Assange einzustellen. Die Anwältin ist seit 2015 mit Assange liiert, das Paar hat zwei Söhne.

Die Anwälte des Wikileaks-Gründers stellten einen Antrag auf Freilassung auf Kaution. Darüber wird das Londoner Gericht an diesem Mittwoch entscheiden, kündigte Richterin Baraitser an.

Die US-Justiz wirft dem gebürtigen Australier Assange vor, gemeinsam mit der Whistleblowerin Chelsea Manning - damals Bradley Manning - geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen und veröffentlicht zu haben. Es geht um Hunderttausende Dokumente. Der 49-Jährige habe damit das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht, so der Vorwurf. Seine Unterstützer sehen in ihm hingegen einen investigativen Journalisten, der Kriegsverbrechen ans Licht gebracht hat. Assange hätten in den USA im Fall einer Verurteilung bis zu 175 Jahre Haft gedroht.

Der Whistleblower Edward Snowden lobte das Urteil. Bei Twitter schrieb er: „Vielen Dank an alle, die sich gegen eine der gefährlichsten Bedrohungen der Pressefreiheit seit Jahrzehnten eingesetzt haben.“

Der Österreichische Journalistenclub (ÖJC) begrüßte die Entscheidung aber kritisierte die Urteilsbegründung. Sie sei „letztlich dennoch ein massiver Angriff auf die Pressefreiheit, da die Entscheidung ja lediglich mit dem gesundheitlichen Zustand von Assange begründet wird“, erklärte ÖJC-Vorstandsmitglied Hadschi Bankhofer in einer Aussendung. Das sei zwar gut und wichtig für Assange als Person, helfe der eigentlichen Frage des investigativen Journalismus aber ganz und gar nicht weiter. ÖJC-Präsident Fred Turnheim fordert die Bundesregierung erneut auf, Assange dringend „politisches und medizinisches Asyl zu gewähren“.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International begrüßte ebenfalls das Urtei, kritisierte aber, dass die Anklagen gegen den Wikileaks-Gründer gar nicht erhoben werden hätten dürfen. „Großbritannien muss sich trotzdem den Vorwurf gefallen lassen, auf Drängen der USA diesen politisch motivierten Prozess betrieben und die Medien- und Meinungsfreiheit auf die Anklagebank gesetzt zu haben. Dies schafft einen eklatanten Präzedenzfall, für den die britische Regierung die Verantwortung trägt.“

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Die Richterin machte am Montag allerdings deutlich, dass der Fall nicht politisch motiviert sei. Assanges Verhalten sei über das normale Verhalten eines investigativen Journalisten hinausgegangen. Er sei sich der Gefahr für Informanten bewusst gewesen, als er deren Namen in den veröffentlichten Dokumenten nicht schwärzte. „Das Recht auf freie Meinungsäußerung bietet Menschen wie Herrn Assange keinen uneingeschränkten Ermessensspielraum, um über das Schicksal anderer zu entscheiden“, sagte die Richterin.

Es gebe zudem keine Beweise, dass die Regierung von US-Präsident Donald Trump Druck auf Staatsanwälte ausgeübt habe, betonte sie. „Es gibt wenig oder keine Anhaltspunkte dafür, dass Präsident Trump Herrn Assange oder Wikileaks feindlich gegenübersteht.“

Der Rechtsstreit dürfte vorerst in Großbritannien weitergehen, denn gegen die Entscheidung kann Berufung eingelegt werden. Nach einer weiteren Instanz könnte das Verfahren vor den britischen Supreme Court gehen und schließlich den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg beschäftigen. Menschenrechtler, Politiker und Organisationen wie Reporter ohne Grenzen hatten zuvor gewarnt, Assange würde in den USA kein faires Verfahren bekommen.

Der Wikileaks-Gründer saß bereits seit rund eineinhalb Jahren im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh im Südosten der britischen Hauptstadt. Angesichts der Corona-Pandemie durfte er nur sehr eingeschränkt Besuch empfangen, auch Telefonate nach draußen waren nicht unbegrenzt möglich. Wegen eines Corona-Ausbruches im Gefängnis wurde zeitweise ein ganzer Block unter Quarantäne gestellt. Familienmitglieder sorgten sich seit langer Zeit um Assanges psychischen und gesundheitlichen Zustand.

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