„Ich kann jetzt sagen, was ich mache und wann ich es mache“
Aglaia Parth (40) hat Lernschwierigkeiten. Mit Hilfe führt sie ein selbstbestimmtes Leben. Sie wohnt privat und berät Menschen mit Behinderung, derzeit im Home-Office.
Von Alexandra Plank
Innsbruck — Aktuell ist Aglaia Parth viel mit dem Rollator unterwegs. Wenn es schnell gehen muss, etwa fürs Einkaufen, düst sie mit dem Elektromobil durch St. Nikolaus, wo sie alleine in einer Wohnung lebt. Ganz alleine ist sie aber nicht, da ist noch die Katze Lara. Wir treffen Parth am Eingang des Hofgartens, hierher kommt sie oft zum Spazieren. „Am liebsten mag ich den Teich, vor allem im Sommer." Bei der Geburt erlitt sie einen Sauerstoffmangel, seither hat sie eine cerebrale Bewegungsstörung. „Zu meiner Mutter haben die Ärzte gesagt, ich werde nie gehen können, immer Hilfe brauchen, denen habe ich es gezeigt", sagt sie. Und wie!
Parth wuchs ab vier Jahren in Behinderteneinrichtungen auf. Seit 2003 hat sie eine eigene Wohnung. „Ich mache viel selbst, aber beim Kochen oder Bügeln brauche ich Hilfe, da kommt am Abend jemand." Am liebsten bereitet sie Gemüse mit Hühnerbrust zu. Wie unterscheidet sich ihr jetziges Leben von dem in einer Einrichtung? „Ich kann jetzt sagen, was ich mache und wann ich es mache", sagt sie. Sie lebe nicht selbstständig, aber selbstbestimmt.
Ihr Wecker läutet um drei viertel 4. „Ich brauche Zeit, um mich herzurichten und zu frühstücken. Mit dem Rollator gehe ich eine Stunde zur Arbeit beim Tivoli. Parth arbeitet beim Projekt WIBS (Beratungsstelle für Menschen mit Lernschwierigkeiten), sie wird dabei unterstützt. „Jetzt mache ich viel daheim, informiere die Menschen am Telefon, oder bei Zoom-Meetings. Sie bekomme dafür ein Gehalt. „Echtes Geld für echte Arbeit ist wichtig. In einer Werkstätte habe ich 6 Euro bekommen." In der Stunde? „Nein im Monat. Das ist eine Frechheit."
Parth tanzt gerne, einmal im Monat ist sie bei der Gruppe „Dance-Ability". Dort bewegen sich alle frei zur Musik. „Ich mag die Christl Stürmer am liebsten", sagt sie. Und verschmitzt: „Was Sie alles fragen!" Außerdem puzzelt sie gerne. Wir gehen über den Zebrastreifen zum Emile-Béthouart-Steg. Bei der Hälfte springt die Ampel auf Rot. Auf dem Steg drängt sich ein Rentner vorbei und mault, wir sollten Platz machen. Ob ihr das öfter passiere? „Oft", sagt Parth. Aber es gebe auch viele freundliche Leute. Grantler seien neben fehlenden Abschrägungen das Blödeste. Was denkt man sich als behinderter Mensch, wenn andere so rücksichtslos sind? „Manchmal denke ich: Was ist eigentlich dein Problem?", sagt Parth.
Sie strahlt Lebensfreude aus und hofft wie alle, dass Corona bald vorbei ist. Mit Assistenz hat sie viel von der Welt gesehen: Sie war in New York und Rio. Den Karneval zu erleben, wäre toll. Heißt doch das Motto der Tanzgruppe: „Wer atmen kann, kann tanzen!"
Mobil statt stationär als Weg
Die Lebenshilfe Tirol begleitet etwa 950 Menschen beim Wohnen. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Anzahl mobil begleiteter Menschen dort verdoppelt. Ein deutliches Signal für mehr Selbstbestimmung. Das fordern nicht nur die UN-Behindertenrechtskonvention und das Tiroler Teilhabegesetz. Die Leute werden selbstständiger. „Das MCI hat aufgezeigt, dass die Bewohner durch individuelles Wohnen neue Kompetenzen erworben haben", sagt Geschäftsführer Georg Willeit. Die Menschen schätzen Freiräume und Privatsphäre, sie sind im Alltag und in der Freizeit aktiver als zuvor. Willeit fordert weiters, dass Menschen mit Behinderung keine Almosenempfänger mehr sind: Etwa 23.000 Menschen in Tirol erhalten nur ein Taschengeld. „Sie sind nicht eigenständig arbeits-, kranken- und pensionsversichert." Statt Transferleistungen ist er für Gehälter plus individueller Unterstützung. „Es ist eine Frage der Wertschätzung, ob Erwachsene ein Gehalt bekommen oder in die Beihilfenfalle tappen", schließt Willeit.