Wenn „Bauchweh“ bei Kindern eigentlich „Kummer“ heißt
Wenn die Worte fehlen, zeigen Kinder oft mit körperlichen Beschwerden, wie es gefühlsmäßig um sie steht – vor allem auch in Corona-Zeiten.
Von Theresa Mair
Innsbruck – Säuglinge, die sich beim Einschlafen und beim Essen schwertun. Kleinkinder, die morgens vor dem Kindergarten plötzlich Bauchweh bekommen. Jugendliche, die sich selbst verletzen. Wenn die Worte fehlen, um Emotionen zu benennen, drücken sich psychische Schmerzen oft in körperlichen Symptomen aus.
Schwierigkeiten mit der Emotionserkennung und -regulierung können das gesamte Kindes- und Jugendalter betreffen. Morgen sind sie Thema beim 7. Kinder- und Jugendpsychiatriekongress, der mit Online-Vorträgen von Experten aus Österreich, Deutschland und der Schweiz für 400 Teilnehmer über die Bühne gehen wird.
„Emotionserkennung und -regulation sind in der ganzen Entwicklungspsychologie vorherrschend, von Kleinkindern bis zu Jugendlichen. Je jünger die Kinder sind, desto schwerer ist es für sie, ihre Emotionen zu verstehen, zu kanalisieren und auszuhalten“, sagt Organisatorin Kathrin Sevecke, Direktorin der Uniklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Innsbruck sowie Primaria der Abteilung in Hall. Ärger, Wut und Frustration würden sich dabei noch leichter Bahn brechen. „Man denke nur an ein Kleinkind, das vor Zorn seine Schaufel wegwirft.“
Scham, Trauer, Sorgen und Bedrohungsgefühle seien für die Kleinen dagegen wesentlich komplexer zu erfassen. „Hier sind die Kinder auf Unterstützung angewiesen, auf die Eltern, die ihre Signale decodieren und übersetzen“, erklärt Sevecke, die der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie vorsitzt. Eltern hätten die Aufgabe, den Kindern dabei zu helfen, ihre Emotionen zu verstehen und sozial angemessen darauf zu reagieren.
Geschieht das nicht, wenn die Eltern selber schlecht mit Stress und Emotionen umgehen können oder autoritär reagieren – z. B. „Reiß dich zusammen! –, verstärke dies die Belastung der Kinder. Studien würden zeigen, dass sich dann bereits ab dem Vorschulalter Angststörungen, Depression und aggressives Verhalten herausbilden könnten. Angstschweiß, Zittern und Kopfschmerz sind Ausdruck von massiven Schwierigkeiten.
Die Expertin empfiehlt Eltern daher, feinfühlig zu sein. Wenn sich Bauchweh nicht durch einen Infekt erklären lässt, sollten sie daran denken, dass dies auch mit einer emotionalen Belastung zu tun haben könnte. „Das allein weitet das Verständnis. Wir wissen, dass Eltern dann schon besser auf ihr Kind eingehen.“
Erwachsene müssten versuchen, sich im Gespräch in das Kind hineinzuversetzen und auch an scheinbare Kleinigkeiten, wie einen Streit mit der Freundin, denken. „So können sie auffangen, Emotionen aufbereiten, Kindern dabei helfen, emotional zu verdauen, und motivieren, das zu überstehen.“ Wenn das Kind über drei, vier Monate nicht mehr in die Schule gehen will, sei es an der Zeit, psychologische Beratung zu suchen.
Wie es ist, monatelang nicht mehr zur Schule zu gehen und auf seine Klassenkameraden verzichten zu müssen, wissen die Kinder inzwischen aus einem anderen Grund: Covid-19. Mit einer – noch bis 31. Jänner laufenden – Online- Umfrage unter kidscreen.ches.pro erfassen die Experten, wie es Kindern (8–12 Jahre) in der Krise geht und wie sich die Corona-Maßnahmen auf sie auswirken. Ergebnisse einer ersten Befragung im Juni 2020 gibt es schon, wie Silvia Exenberger-Vanham, Klinische und Gesundheitspsychologin am LKH Hall, erläutert.
438 Eltern und 220 Kinder wurden damals rückblickend auf die Quarantäne und die Situation im Juni befragt. Eltern berichteten damals, dass Buben ab etwa sieben Jahren vermehrt Aggressionen zeigten und Konzentrationsschwierigkeiten entwickelt hätten, die auch über den Lockdown hinaus weiterbestehen würden. „Kindergartenmädchen entwickelten Traumasymptome. Sie träumten schlecht, sind schreckhafter geworden und schlafen schwerer ein und durch“, so Exenberger-Vanham. Außerdem hatten sie deutlich mehr körperliche Symptome wie Kopfweh, Übelkeit und Appetitlosigkeit.
In Südtirol, wo sich die Quarantäne noch länger hingezogen hat, berichteten die Eltern von Kindergartenkindern, dass sich die Kleinen zurückziehen, schüchterner werden, öfters verstimmt und traurig sind. „Wir gehen davon aus, dass die Symptome mehr werden, je länger die Unsicherheit dauert. Insbesondere wenn es schon psychologische Vorerkrankungen in der Familie gibt“, so Sevecke. „Kinder brauchen soziale Kontakte und eine Tagesstruktur.“