Corona-Krise

Demos zu verbieten „war nicht klug": NEOS für parteifreien Innenminister

„Man müsste fragen, ob die ÖVP in der Lage ist, zu regieren, wenn sie ständig den Koalitionspartner ruiniert“, sagt Meinl-Reisinger.
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Parteichefin Beate Meinl-Reisinger hätte gern Karl Nehammer nicht mehr in diesem Amt. Vorzeitig wählen lassen möchte sie nicht.

Von Karin Leitner

Wien – Fachleute alarmieren: Immer mehr Menschen haben wegen der Pandemie und deren Folgen psychische Probleme. Darauf weist auch NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger hin: „Auch Menschen ohne Existenzängste sind seelisch belastet.“ Nicht nur auf Infektionszahlen gelte es zu schauen: „Es geht um die Balance. Es sind Wirtschafts- und Arbeitslosenzahlen genauso zu beachten wie die langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen: Etwa der Bewegungsmangel von Kindern und Jugendlichen, weil es keinen Sportunterricht gab, auch keine Aktivitäten in den Sportvereinen“, befindet sie im Gespräch mit der Tiroler Tageszeitung. Mittlerweile dürfte das den Regierenden ebenfalls bewusst sein: „Ich deute auch die Öffnungsschritte in diese Richtung.“

Besorgniserregend sei auch „die zunehmende Polarisierung in der Gesellschaft: Hier die Sorglosen, da jene mit Angst und Angststörungen wegen der Virus-Mutationen“, sagt Meinl-Reisinger.

Manifestiert hat sich das in den Demonstrationen gegen die Corona-Politik der Regierung. Obwohl die Polizei 15 der 17 geplanten Kundgebungen untersagt hat, sind am Sonntag Tausende durch die Wiener Innenstadt marschiert. War es falsch, ob dessen, was sich abgespielt hat, die Demos zu verbieten? „Ja“, sagt Meinl-Reisinger: „Das war nicht klug, hat möglicherweise zur Eskalation beigetragen.“ Dass auch eine Demo von „Bildung brennt“ gegen das Uni-Gesetz nicht genehmigt worden ist, sei unverständlich. Auch die Corona-Proteste hätten zugelassen, die Polizei „für Ordnung und Sicherheit sorgen“ müssen. Das Verhalten von Exekutivbeamten wird ja kritisiert. Wie sieht es die Pinke? „Wir werden das Verhalten prüfen – in Form von parlamentarischen Anfragen an ÖVP-Innenminister Karl Nehammer.“

FPÖ-Klubchef Herbert Kickl ortet ob des Demo-Verbots „einen Tabubruch, einen demokratiepolitischen Skandal, Zensur“. Sie auch? „Ich bin selten eines Sinnes mit Kickl. Demokratische Grundsätze dürfen jedenfalls nicht über Bord geworfen werden. Grundfreiheiten wie die Versammlungsfreiheit sind ein hohes Gut. Nur aus gutem Grund dürfen sie eingeschränkt werden.“ Wäre nicht der Aufmarsch von Neonazis und Identitären ein solcher? „Bei den Demos waren nicht nur Rechtsradikale. Da waren auch Leute, die sich zunehmend ungehört fühlen. Die Versammlung war sehr divers.“ Wo ist bei ihr die „rote Linie“ in Sachen Demo-Freiheit? „Da, wo es um Hetze, Angriffe auf den Staat, den Aufruf zu Gewalt geht. Hier darf es keine Toleranz der Intoleranz geben.“

Wie für Kickl ist für Meinl-Reisinger Nehammer rücktrittsreif. Nicht wegen der Causa Demos, „sondern wegen der Nichtaufklärung der Vorkommnisse vor dem Terroranschlag in Wien und seinem Umgang mit dem Verfassungsschutz. Ein parteifreier Minister sollte das BVT wieder aufbauen.“

Mit Blick auf die gesamte türkis-grüne Regierung konstatiert die Oppositionelle: „Die Bruchlinien treten zutage.“ Geht Meinl-Reisinger davon aus, dass die Koalition bis zum gesetzlichen Ende hält? Das sei nicht zu sagen: „Es wäre aber gut, Österreich nicht dauernd wählen zu lassen. Man müsste auch fragen, ob die ÖVP von Sebastian Kurz in der Lage ist, ein Land zu regieren, wenn sie ständig den Koalitionspartner ruiniert.“ Abgesehen davon: „Es wäre nicht clever, während dieser Krise in einen Wahlkampf zu gehen. Da geht es um die Verantwortung für das Land.“ Zum Gemunkel, die SPÖ könnte „fliegend“ in die Regierung wechseln, die Grünen raus – oder es könnte zu einer Art „Konzentrationsregierung“ ohne FPÖ kommen, sagt Meinl-Reisinger: „Da wären NEOS sicher nicht dabei, Österreich braucht eine gute Opposition. Der FPÖ diese Rolle allein zu überlassen, wäre nicht verantwortbar.“