Flüchtlinge in Griechenland: Zwischen Kälte, Krankheit und Ungewissheit
Die Situation der Schutzsuchenden auf den griechischen Inseln ist unverändert katastrophal, berichten Helfer und Psychologen, die vor Ort sind.
Lesbos – Die Debatte um die nach Georgien und Armenien abgeschobenen Schülerinnen samt ihren Familien dominiert seit Tagen die heimische Themenlage. Abseits davon leben Tausende Schutzsuchende weiterhin unter katastrophalen Bedingungen in Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln.
Erst kürzlich hat der griechische Migrationsminister Notis Mitarakis gesagt, dass das Lager bei Kara Tepe auf Lesbos mittlerweile weitgehend winterfest sei. „Wir erfüllen jetzt die Anforderungen, beispielsweise was die Ausstattung mit Toiletten und Duschen betrifft“, sagte Mitarakis im Interview mit Zeit Online. Das Lager nach dem Brand und der Zerstörung des alten Flüchtlingslagers Moria auszubauen, während schon Menschen dort lebten, sei schwer gewesen, so der griechische Minister.
Stimmt nicht, sagte die österreichische Flüchtlingshelferin Doro Blancke, die bei einer griechischen NGO auf Lesbos volontiert. Die Zelte seien nicht verändert oder umgebaut worden, konstatiert Blancke. Es stünden immer noch die Sommerzelte der UNHCR dort. Das sehe man auch auf aktuellen Fotos aus dem Lager. Lediglich auf der Hauptstraße durch das Camp sei Schotter aufgeschüttet worden, damit man nicht mehr im nassen Lehm gehen muss. Aber zwischen den Zelten habe sich nicht sehr viel verändert.
Heizungen gebe es keine, elektrische Kochtöpfe, Heizstrahler und Wasserkocher seien zudem wegen dem nicht belastbaren Stromnetz verboten. Fürs ganze Camp gebe es zwei Generatoren. Die Stromversorgung fiele immer wieder aus. „Es gibt 250 Duschen, nicht immer mit warmem Wasser für die Menschen“, so Blancke. Teilweise würden die Menschen nicht einmal ein warmes Essen pro Tag bekommen. „Also zu sagen es ist winterfest ist schon sehr zynisch“, fasst die Flüchtlingshelferin zusammen. Und die psychische Verfassung der Menschen sei „sehr deprimierend und für uns kaum fassbar.“
Zuvor hat die AG Globale Verantwortung, Dachverband entwicklungspolitischer Organisationen, erneut die Evakuierung von Menschen aus griechischen Flüchtlingslagern gefordert. Die Lage in Camps wie Kara Tepe spitze sich zu, die „Lebensumstände und Gesundheit Tausender Schutzsuchender verschlechtern sich Tag für Tag“, befand Annelies Vilim, Geschäftsführerin der AG Globale Verantwortung.
Auf den Ostägäis-Inseln Lesbos, Chios und Samos würden noch immer rund 19.000 Menschen „in teils undichten und unbeheizten Zelten hausen, die keinen ausreichenden Schutz vor Regenfluten, Schlammmassen, Orkanböen und Schneefällen bieten“, berichtete Vilim. In den Flüchtlingscamps würden „grundlegende Menschenrechte missachtet – und das im Europa des 21. Jahrhunderts, inmitten der Covid-19-Krise. Das ist eines Friedensprojekts, als das sich die EU selbst bezeichnet, schlicht unwürdig“, betonte sie und forderte die Regierungschefs Europas auf, gemeinsame Lösungen zu finden, um „diese Schande“ zu beenden.
Die anhaltend schlechten Bedingungen in den griechischen Flüchtlingslagern machen Kinder krank, sagt die Kinderpsychologin Katrin Glatz-Brubakk. Die Unsicherheit und chronische Angst führe zu Panikattacken, Albträumen und schweren Depressionen bei vielen Kindern, berichtete die Leiterin des psychologischen Programms von Ärzte ohne Grenzen (MSF) auf Lesbos: „Viele dieser Kinder geben die Hoffnung auf, dass sie je einen Tag ohne Angst erleben werden.“
Das führe dazu, „dass achtjährige Kinder versuchen, sich umzubringen, weil sie es einfach unter diesen Bedingungen nicht mehr aushalten“. Und das seien Kinder, die vorher keine psychischen Probleme gehabt hätten, betonte Glatz-Brubakk kürzlich im Telefon-Gespräch mit der APA. 90 Prozent der Kinder hätten diese Probleme erst entwickelt, seit sie auf Lesbos seien. (APA, TT)