Psychisch kranke Straftäter „betreuen statt wegsperren“
Die Zahl der psychisch kranken Straftäter steigt „dramatisch“. Gerade in Corona-Zeiten braucht es nach der Haft eine Betreuung auf vielen Ebenen, so ZeSa-Chef Marco Uhl.
Von Brigitte Warenski
Innsbruck – Über 1200 Menschen befinden sich derzeit in Österreich im Maßnahmenvollzug, viele davon sind „geistig abnorme Rechtsbrecher“ – wie es unschön, aber juristisch korrekt heißt. Der Anteil der Menschen im Maßnahmenvollzug macht bereits fast 15 Prozent der gesamten Strafgefangenen aus. Dazu kommen knapp 750 verurteilte Straftäter, die in psychiatrischen Anstalten untergebracht sind.
„Psychisch kranke Straftäter sind zu fast 95 Prozent Männer, die zum Großteil an einer Krankheit aus dem schizophrenen Formenkreis leiden. Ihre Anzahl im Maßnahmenvollzug ist in den letzten Jahren dramatisch gestiegen“, sagt Marco Uhl, Geschäftsführer des Innsbrucker „Zentrums für Soziale Arbeit & Soziale Dienstleistungen“ (ZeSa). Gerade in der Corona-Krise gilt es laut Uhl, einen noch stärkeren Fokus auf das Thema zu legen. „Das gesamte letzte Jahr war schon für psychisch stabile Menschen eine große Herausforderung. Psychisch kranke Menschen setzt es besonders zu, dass sie im Moment ohne feste Strukturen leben müssen, dass sie kein breites soziales Netzwerk haben. Damit steigt bei den psychisch kranken Straftätern auch die Gefahr, rückfällig zu werden“, so Uhl. Das Ziel der ZeSa, die es seit 2013 gibt und die im Moment 30 psychisch kranke Straftäter in Tirol und Vorarlberg im Auftrag der Justiz betreut, „ist das Verhindern von weiteren Straftaten. Wir haben daher einerseits einen Kontrollauftrag und andererseits einen Unterstützungsauftrag. In Zusammenarbeit mit der Bewährungshilfe von „Neustart“ und Partnern aus den Bereichen der Medizin und Psychotherapie ist es uns gelungen, die Rückfallquote deutlich zu verringern. Menschen, die von ZeSa betreut werden, blieben in den letzten sieben Jahren zu 80 % in Freiheit und konnten sich gut in die Gesellschaft integrieren. 10 % begingen erneute Straftaten und 10 % konnten sich nicht an die auferlegten Weisungen halten“, so Uhl.
Den ehemaligen Straftätern wird von ZeSa entweder direkt nach der Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug eine betreute Wohnung zur Verfügung gestellt „und ein kleiner Teil erhält die Chance direkt bei der Gerichtsverhandlung“. Auch während der Corona-Krise wird – eingeschränkt, aber regelmäßig – u. a. in Kleingruppen gekocht, Sport betrieben, Kultur konsumiert, kreativ gearbeitet, Gesprächsrunden werden moderiert und Ausflüge unternommen. „Damit sind die soziale Teilhabe und die wirtschaftliche Existenz gesichert, die persönliche Entwicklung wird gefördert und die Woche ist gut strukturiert. Zudem werden die Menschen in der Regel drei bis fünf Jahre auf vielen Ebenen des täglichen Lebens unterstützt. Die Unterstützung reicht von der Haushaltshilfe oder Hilfe bei der Medikamentenversorgung bis zur Begleitung zum Corona-Test oder zum Hausarzt. „Auch wenn die Alternative zur Haft und zur Anhaltung in geschlossenen Anstalten am Anfang finanziell aufwändig ist, ist es volkswirtschaftlich vernünftig, da durch die hohe Erfolgsquote die Kosten insgesamt reduziert werden. Anstatt exkludiert versorgt zu werden, werden sie wieder Teil der Gesellschaft und erleben, dass sie dazugehören und auch wertvoll sind. Eine Basis also, um sich gut zu integrieren.“ Zudem versucht ZeSa, in der u. a. Sozialarbeiter, Sozialpädagogen und Psychologen tätig sind, „dabei zu helfen, dass die Klienten zu einer Krankheitseinsicht bzw. zur Problemeinsicht kommen, denn dann können sie die Auflagen besser akzeptieren und ihren Fokus in die Zukunft legen“.
Zuversichtlich gibt sich Uhl, was die Arbeit der ZeSa künftig betrifft. „Laut Justizministerin Zadić wird jeder zweite Haftentlassene wieder straffällig. Um das zu verhindern, möchte sie die Bewährungshilfe und die Nachbetreuung im Allgemeinen weiter ausbauen. Wir begrüßen natürlich diesen Ansatz, denn „wegsperren löst auf Dauer das Problem nicht“, ist Uhl überzeugt.