Zu viel Süßes, zu wenig Bewegung: Wenn in der Krise die Zuckerfalle zuschnappt
In der anhaltenden Corona-Krise steigen der Frust und auch die Lust auf Süßes. Kinder sind durch Inaktivität noch mehr gefährdet. Klare Regeln und Aufklärung bieten Schutz vor Schäden.
Susann Frank
Achtung, Achtung, liebe Eltern“, schrieb eine betroffene Mutter vor wenigen Wochen und warnte in ihrem Leserbrief an die TT eindrücklich vor der „Volksdroge Zucker“. Sie selbst hatte kurz vorher erfahren, dass ihr Sohn stark zuckergeschädigt sei. Zu den offensichtlichen körperlichen Symptomen, unter anderem Gewichtszunahme, sei ein psychisches Problem in Form von Unkonzentriertheit dazugekommen. „Betroffene Eltern berichten, dass ihre Kinder aufgedrehter sind. Dazu fehlen jedoch kontrollierte Studien“, sagt Sabine Scholl-Bürgi, Oberärztin für Kinder- und Jugendheilkunde an der Innsbrucker Uni-Klinik. Denn auch für Studien-Zwecke könne man keinem Kind absichtlich zu viel Zucker verabreichen.
Deswegen geht die Medizinerin anders an das Thema heran und betont, dass sich eine „ausgewogene Ernährung in Form von Mischkost nachweislich positiv auf die Entwicklung auswirkt.“
Darauf zu achten, ist nicht immer einfach. Die Corona-Pandemie erschwert es den Eltern zusätzlich. „Sämtliche Belastungen durch Home-Schooling und -Office tragen sicher zur schnelleren Gabe bei, weil Naschereien oft als Belohnung eingesetzt werden und aufgrund der Situation mehr erlaubt wird. Hinzu kommt, dass sich die Kinder heimlich etwas nehmen“, sagt Alexander Höller, Leiter der Diätologie an der Uni-Klinik Innsbruck.
Dazu addiert sich ein weiteres Problem: die Inaktivität der Kinder. Sie hat durch den Wegfall der Turnstunde und den Schulunterricht am Computer zugenommen. Die Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation WHO sind längst überschritten. Sechs- bis Zehnjährige sollten normalerweise eineinhalb Stunden Bildschirmzeit pro Tag nicht überschreiten, bei bis zu 13-Jährigen beträgt die Dauer nur eine halbe Stunde mehr.
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„Wir haben die adipösen Kinder bei Klinikbesuchen gefragt. Neben dem Home-Schooling sitzen sie privat dann noch einmal vier bis sechs Stunden am Bildschirm“, betont die Ärztin. Die von der WHO ebenfalls empfohlene halbe Stunde schwitzende Bewegung pro Tag würden jetzt noch weniger Kinder ausüben.
Diätologe Höller nennt einmal mehr die erschreckende Zahl, dass mittlerweile fast jeder dritte Bursche im Alter von 8 bis 9 Jahren in Österreich übergewichtig sei und „die Tendenz steigt, auch bei anderen Kindern. Das kann schließlich zu Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Gelenksabnützungen führen“, sagt Höller und fügt hinzu: „Nicht zu vergessen die psychischen Probleme durch die Stigmatisierung von Übergewicht.“
Aus all diesen Gründen ist es in der Krise noch wichtiger, auf eine ausgewogene Ernährung zu achten und die Zuckerfalle nicht zuschnappen zu lassen. An vorderster Front steht dabei, den Industriezucker, sprich Haushaltszucker, zu vermeiden – angefangen bei den Getränken. „Die sind bei Kindern oft sehr zuckerlastig“, erläutert die Medizinerin. Höller empfiehlt, den Durst hauptsächlich mit Wasser oder ungezuckertem Tee zu löschen. Limonaden seien wegzulassen und Säfte zu verdünnen: „Drei Teile Wasser, ein Teil Saft.“
Zudem warnt er eindringlich vor Lebensmitteln, die für Kinder beworben werden, wie zum Beispiel Joghurts und Snacks: „Es ist wichtig, den Eltern bewusst zu machen, dass diese als Süßigkeiten zu sehen sind.“ Zudem müsse der Zugang zu Naschereien beschränkt und Regeln aufgestellt werden. Um ein gesundes Maß anzugeben, nennt der Diätologe als Beispiel „eine Rippe Schokolade pro Tag“.
Eltern, die sich beraten lassen wollen, empfiehlt er, sich an den „avomed“ oder die Ernährungsberatungsstellen des Landes Tirol zu wenden. Beide bieten Online-Beratung an, „wodurch es für manchen leichter zugänglich ist“.
Sowohl er als auch Scholl-Bürgi machen Betroffenen Mut. „Vieles ist Gewöhnungssache“, betont die Medizinerin, wie die Umstellung von ungesundem Weiß- auf nahrhaftes Vollkornbrot. „Hat sich das automatisiert, merkt das Kind auch, dass Vollkornbrot besser schmeckt, weil es mehr Aromastoffe beinhaltet.“