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Netflix-Thriller „I Care a Lot“: Die Attraktivität des Bösen

Das nächste Opfer im Visier: Sachwalterin Marla Grayson (großartig gespielt von Rosamund Pike) und Mrs. Peterson (Dianne Wiest).
© Seacia Pavao / Netflix

„I Care a Lot“ ist ein meisterhafter, zynischer Thriller über eine durchtriebene Sachwalterin.

Von Marian Wilhelm

Innsbruck – Sachwalterin klingt so gar nicht nach einem spannenden Filmhelden-Beruf. Marla Grayson zerstreut jedoch von der ersten Filmminute an jeden Zweifel, dass „I Care a Lot“ eine sozialkritische Milieustudie werden könnte. Die Antiheldin ist auf eine Art elegant-böse, wie es nur Karriere-Frauen und -Männer sein können.

Mit einem Hauch „Der Teufel trägt Prada“ in der Luft erklärt Marla gleich selbst ihr erfolgreiches Geschäftsmodell. Dabei operiert sie gerade noch diesseits der formal-rechtlichen, aber klar jenseits der moralischen Grenze. Mit Hilfe einer korrupten Ärztin und eines gutgläubigen Richters lässt sie Senioren für unfähig erklären, ihr Leben zu führen, und macht sich dann als hoch bezahlte Sachwalterin über ihr Vermögen her. Eine höchst einträgliche Nische, die die skrupellose Marla zusammen mit Geschäfts- und Lebenspartnerin Fran betrügerisch ausnützt.

📽️ Video | Trailer zu „I Care a Lot“:

Der bis zum Ende überaus überraschende Film setzt seine Prämisse in Gestalt der alleinstehenden Jennifer Peterson, die Marlas nächstes Ziel ist. Doch so freundlich die alte Dame (Dianne Wiest) zunächst noch scheint, als sie ins Heim verfrachtet wird, so gut vernetzt ist sie insgeheim. Ein geschniegelter Anwalt taucht schon bald mit einem Geldkoffer und Drohungen auf. Er kommt im Auftrag einer Person (ein herrlich halbsympathischer Peter Dinklage), die zu noch viel mehr bereit ist, um Mrs. Peterson aus der erzwungenen Unmündigkeit zu befreien. Doch damit beginnen die Schwierigkeiten erst, mit denen die schwarze Sachwalter-Königin nun Schach spielen muss.

Regisseur J Blakeson balanciert seinen dritten, etwas schlecht betitelten Film perfekt aus. Zunächst mit grellem Zynismus getarnt, bringt er immer wieder die notwendige dunkle Fallhöhe ins Spiel, um die Story dieses Machtkampfs glaubwürdig und spannend zu halten. Flotte Montage-Sequenzen wechseln sich mit intensiveren Konfrontationen ab.

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Die Darstellenden finden großartige Nuancen, allen voran Rosamund Pike (als Marla), die dafür eine Golden-Globe-Nominierung in der Kategorie Comedy (!) erhielt. Pike hat schon in David Finchers Thriller „Gone Girl” bewiesen, dass ihr soziopathische Bösewichte liegen. Diesmal brilliert sie als Täterin und Opfer zugleich, mit einer eiskalten Mischung aus Zynismus und aufgesetzter Freundlichkeit. Der eigentliche Bösewicht dahinter ist aber wie so oft das bürokratisch-juristische System, das Menschen wie Marla erst möglich macht.

Der simpel-klassische wie geniale Trick dieses meisterlichen Thrillers besteht darin, mit der Sympathie der Zuschauer zu spielen. Auf wessen Seite sind wir? So ganz wissen wir es vielleicht auch nach den zwei Stunden dieses bisher besten Films des jungen Jahres noch nicht.

I Care a Lot ist ab heute Freitag auf Netflix abrufbar.