Netflix-Doku „Pelé“: Porträt eines Königs als unpolitischer Mensch
Pelé führte Brasilien zu drei WM-Titeln – und ließ sich dafür von Diktatoren herzen. Ein neuer Dokumentarfilm wagt die zögernde Annäherung daran.
Innsbruck – Als Pelé wurde Edson Arantes do Nascimento zum ersten globalen Superstar des Weltfußballs. Wie der heute 80-Jährige zu seinem Künstlernamen, der schnell zum Goldstandard in Sachen Ballbehandlung und Spielverständnis wurde, kam, verrät die neue Netflix-Doku „Pelé“ nicht. Überhaupt hält sich der von David Tryhorn und Ben Nichols inszenierte Film kaum mit dem Werden des Weltfußballers auf. Wohl auch, weil alles sehr schnell ging. Mit 16 schoss er für den FC Santos mehr Tore als alle anderen – 36 in 29 Spielen – und empfahl sich für die brasilianische Seleção. Mit 17 führte er diese 1958 in und gegen Schweden zum ersten WM-Triumph. Und erlöste sein Land vom Ruf des Schönwetterfußballs, der immer, wenn es hart auf hart kommt, den Kürzeren zieht. Zwei weitere Weltmeister-Titel folgten: 1962, wo Pelé wegen einer Verletzung kaum zum Einsatz kam, und 1970 in Mexiko, als es zu beweisen galt, dass er mit gerade einmal 29 allen Unkenrufen zum Trotz noch immer „O Rei“, also der König des Spiels war. Auf Letzteres konzentriert sich der Film. Dramaturgisch folgt er dabei dem gängigen Modell der Heldenreise: früher Triumph, bittere Rückschläge – etwa das frühe Ausscheiden Brasiliens bei der WM 1966 – und das kolossale Comeback im finalen Akt.
📽️ Video | Trailer zu „Pele“
Die Perspektive auf seine Geschichte gibt dabei Pelé selbst vor. Ein langes Interview mit dem inzwischen auf Gehhilfen angewiesenen Ausnahmefußballers ist zentrales Erzählgerüst des Films. Und es steht der eigentlichen Erzählung bisweilen im Weg.
Als erste schwarze Identifikationsfigur des Landes wurde Pelé früh zum Botschafter Brasiliens. Er interessiere sich nicht für Politik, sagt Pelé in einer Archivaufnahme aus den frühen 1960er-Jahren. Und: Er sei überzeugt, als Fußballer mehr für sein Land tun zu können wie als Politiker. Als erster Werbemillionär des Weltfußballs hatte er das Privileg, sich nicht für Politik interessieren zu müssen. 1964 putschte sich das brasilianische Militär an die Macht. Hunderte Regimegegner verschwanden, Foltergefängnisse wurden gebaut. Sein Leben habe sich durch die Diktatur nicht verändert, sagte Pelé während einer Europatour mit dem FC Santos.
Nach dem WM-Erfolg 1970 feierte Diktator Emílio Garrastazu Médici mit neuen Weltmeistern. Vor allem Pelé herzte er für die anwesenden Kameraleute. Und „O Rei“ ließ sich herzen. Trotzdem sei der Titel als Triumph Pelés in die Geschichte eingegangen – und nicht als Triumph des Diktators, erklärt ein Historiker. Erst zwei abschließende Texttafeln rücken das Bild etwas zögernd zurecht: Pelé beendete 1971 seine internationale Karriere – um sie 1975 in den USA noch kurz aufleben zu lassen. Die Militärdiktatur in Brasilien endete. Ihre Verbrechen sind bis heute nicht annähernd aufgearbeitet. (jole)