„Little Oblivions“ von Julien Baker: Schmerztherapie in ihrer schönsten Form
Sehr, sehr hörenswert: Julien Bakers nicht mehr loslassendes neues Album „Little Oblivions“.
Von Markus Schramek
Innsbruck –Es sind Klänge, bei denen Köpfchen und Füßchen gar nicht anders können, als (mehr oder weniger) im Takt mitzuwippen.
Aber stopp! Dieser klagende Grundton, diese bodenlose Traurigkeit, diese Melancholie, diese hingerotzten Zweizeiler wie: „Spar dir dein Mitgefühl, ich kann es nicht ertragen!“ Was soll das, Julien Baker? Wo doch Ihre Musik dermaßen elektrisierend wirkt, dass man Ihr neues Album „Little Oblivions“ gar nicht mehr abschalten mag.
Und wenn doch, dann verfängt sich der Sound dieser Künstlerin noch eine ganze Weile im Ohr: der ätherische Gesang, das fragile Klavierspiel, die treibenden Gitarren, die erdigen Bass-Lines, die Synthesizer-Kaskaden.
Man merkt es hoffentlich: Hier ist ein Rezensent darum bemüht, seine Begeisterung in Worte zu fassen. Er hat eine Entdeckung gemacht.
Auf unserer Seite des Atlantiks ist Julien Baker nämlich noch nicht der große Name. Drüben, in den USA, der Heimat der Musikerin aus dem Bundesstaat Tennessee, gilt sie schon als neue Stimme des Indie-Rock oder welcher Schublade auch immer. Richtig einordnen lässt sich Baker nicht. Zu viel wird da geboten. Sogar die stets auf kritische Distanz bedachte New York Times holt zu einer Lobrede aus: „Wie schön, dass wir dabei zuhören dürfen, wie sich diese Künstlerin weiterentwickelt“, schreibt das hoch angesehene Blatt.
📽️ Video | Julien Baker – „Hardline“
Mit ihren erst 25 Lebensjahren hat Julien Baker schon reichlich Stoff gesammelt, der sich schmerzlich vertonen lässt: Probleme mit Drogen als Teenager, ihr Coming-Out als homosexuell mit 17. Tiefe Religiosität half ihr dabei, ihren Weg zu finden, doch es ist kein blinder Glaube, sondern ein kritischer, aufgeklärter.
Irreführungen aller Art, durch den Konsum gnadenloser Substanzen, durch Wunderheiler, durch politische Verführer, schimmern in ihren Texten durch – und eine unglaubliche Härte sich selbst gegenüber. „Niemand verdient eine zweite Chance, aber ich bekomme ständig welche“, beschwert sie sich im neuen Song „Ringside“.
„Little Oblivions“ ist Bakers drittes Album seit ihrem Debüt im Jahr 2015. Die Neurille hebt sich von den ruhigen, sparsam instrumentierten Vorgängern aber doch markant ab. Das aktuelle Opus bietet Musik, die einer ganzen Band würdig ist – bzw. wäre. Denn Julien B. hat alle Instrumente selbst eingespielt.
Und diese Stimme! Man kreuze den Gesang von, sagen wir, Adele (Stimmumfang, Intonierung) mit jenem von Lana Del Rey (rauchige Tiefgründigkeit): Heraus käme das Klangbild Julien Bakers.
Es ist eigentlich müßig, einzelne Titel aus „Little Oblivions“ herauszupicken. Die Platte klingt in sich geschlossen wie eine – hoffentlich erfolgreiche – Schmerztherapie nach Noten: vom trotzig-krachenden Opener „Hardline“ weiter über das fast schon hitverdächtige „Heatwave“ bis hin zum bloß hingehauchten, aber trotzdem messerscharf artikulierten Beziehungs-Schlussakt „Song in E“.
Julien Baker schöpft metertief aus ihrer Gefühlswelt. Was sie zum Vorschein bringt, verschont niemanden. Hier meldet sich eine Songwriterin, deren Wort Gewicht hat. Ihre Botschaft ist direkt, fesselnd und schaurig-schön. Und Baker steht erst am Anfang.
Indie-Rock
Julien Baker: „Little Oblivions“. Matador Records.