Secession setzt bei Archiv-Digitalisierung auf Innovation
Wenn Secessions-Präsident Herwig Kempinger nur wenige Dezimeter unter dem Straßenniveau im schmucklosen Archiv seiner Institution steht, wirkt er ein wenig wie ein Schatzsucher vor dem ersten Spatenstich. Umgeben von 123 Jahren analoger (Kunst-)Geschichte, spricht er beim APA-Besuch von einem „ungehobenen Schatz“, den man in den kommenden Jahren im Zuge der Digitalisierung bergen und dann der Öffentlichkeit zugänglich machen will. Dabei setzt man auf neue Techniken.
„Vor einigen Jahren habe ich mir gedacht, es wäre interessant, wenn wir selbst einmal wüssten, was wir hier in den Kisten alles haben und es der Öffentlichkeit zugänglich machen könnten. Es ist immerhin ein Abbild der Kunstgeschichte des späten 19. und gesamten 20. Jahrhunderts“, so der seit 2013 als Secessions-Präsident amtierende Künstler. Im vergangenen Sommer wurde das Projekt der Aufarbeitung und Digitalisierung gestartet, die erste Tranche bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs will man in etwa drei Jahren veröffentlichen.
Dafür sitzen wenige hundert Meter weiter, in einem Arbeitsraum in der Lehargasse, zwei eigens angestellte Mitarbeiter, die in den kommenden Jahren unter der Leitung von Tina Lipsky alle Schriftstücke, Kunstwerke und sonstige Fundstücke digitalisieren und katalogisieren werden. Und weil Kempinger eine umfassende, treffgenaue Suchfunktion vorschwebt, hat das Haus gleich eine eigene Datenbank in Auftrag gegeben, die eine detaillierte Verschlagwortung ermöglicht. Auch ist es mittlerweile möglich, nicht mehr auf Scans zu setzen (die historischen Vorlagen durch die Lichtintensität oft stark zusetzen), sondern die Artefakte höchstauflösend zu fotografieren, wodurch auch die Buchrücken nicht mehr in Mitleidenschaft gezogen werden. 360.000 Euro soll die Unternehmung kosten, die je zu einem Drittel von der Secession selbst, dem Bund und der Stadt Wien getragen wird.
Um einen kleinen Einblick in seinen Schatz zu geben, öffnet Kempinger mal hier eine Lade, schlägt dort einen Ordner auf oder zieht ein Hängeregal heraus. Da findet sich etwa ein Bericht aus der „Wiener Rundschau“ anlässlich der Eröffnung 1898: „Blendend weiß, gold schimmernd“, wird das neue Gebäude beschrieben, das da „zwischen Schuttmassen, Schmutz und Lehm“ emporrage, zitiert Kempigner aus dem Artikel, der damals aufgehoben wurde. Budget für Ankäufe gab es nicht, aber seine Vorgänger hätten „brav gesammelt“.
Unter den zahlreichen Werken gibt es u.a. eines von Bruno Gironcoli, das jedoch nicht mehr in Ausstellungen zu sehen sein wird, da sich die Secession ja der Präsentation von lebenden Gegenwartskünstlern verschrieben hat. Oder zahlreiche Fotos aus früheren Tagen, die ihr Dasein in einem dicken Ordner fristen. Darunter: Aufnahmen von legendären Faschingsfesten, die Mitte des 20. Jahrhunderts in der reich geschmückten Secession stattgefunden haben.
Dass das Archiv, das jahrzehntelang im Lager in der Lehargasse und während des Zweiten Weltkriegs („als die Nazis aus der Secession ein Reifenlager gemacht haben“) in der Konkurrenzinstitution Künstlerhaus gelagert war, die beiden Weltkriege überstanden hat, ist für Kempinger ein Glücksfall. Nach der Digitalisierung hofft er, für unterschiedliche Wissenschaftsbereiche - von der Kunstgeschichte über die Geschichte bis hin zur Soziologie - einen reichen Fundus anbieten zu können. Während die Datenbank kostenlos zugänglich sein wird, können druckfähige Daten gegen Entgelt heruntergeladen werden.
Wie kleinteilig die Arbeit der beiden Mitarbeiter ist, zeigt ein Blick auf handschriftliche Korrespondenz in Kurrentschrift, die nicht für jedermann zu entziffern ist. „Zum Glück ist es uns gelungen, hier jemanden zu finden“, freut sich der Präsident und verweist auf zahlreiche Autographen, die aus Korrespondenzen mit internationalen Größen wir Monet, Rodin oder Munch erhalten geblieben sind. Der Austausch sei rege gewesen, „weil alle Künstler die Secession als Idee und Ort wunderbar gefunden haben und nach Wien kommen wollten“. Von Rodin finde sich im Archiv etwa die Versicherungsliste für seine Werke, die er hier ausgestellt hat, von Max Kurzweil sind u.a. handschriftlich korrigierte Druckfahnen erhalten.
Die wichtigsten Stücke sollen in den kommenden Monaten und Jahren digitalisiert werden, um schließlich eine umfassende, treffgenaue Recherche zu ermöglichen. Und dann? Dann geht es weiter: Mit der Digitalisierung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und dem beginnenden 21. Jahrhundert. Mit der Entzifferung und Transkription dürfte man dann weniger Probleme haben: „Wir haben auch jedes Email aufgehoben...“