Irritierend alltäglich: Neue Erzählungen von Eva Schmidt
Nicht alles muss mit einem Knall enden, oder zumindest mit Klarheit. Nicht immer ist am Schluss das Rätsel gelöst, und nicht immer weiß man, ob man es überhaupt mit einem Rätsel zu tun hat. Willkommen in der Wirklichkeit, und willkommen in der Welt, wie sie Eva Schmidt beschreibt. „Die Welt gegenüber“ heißt ihr neuer Erzählband, der uns an Beobachtungen teilhaben lässt, die eigentlich ganz alltäglich sind. Nicht alltäglich ist jedoch die Genauigkeit ihrer Beschreibung.
Die Vorarlberger Autorin Eva Schmidt (69) schaffte 2016 mit ihrem Buch „Ein langes Jahr“ - ihr erstes seit fast zwei Jahrzehnten - ein glänzendes Comeback im Literaturbetrieb. Ihr Episodenroman aus 38 Einzelgeschichten des (klein-)städtischen Lebens schaffte es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises, was ihr drei Jahre später mit „Die untalentierte Lügnerin“ erneut gelang. Was damals galt, hat unverändert Gültigkeit: „Eva Schmidt ist mittendrin. Und bleibt doch ostentativ unberührt von alledem. Erst diese Erzählhaltung macht das Erzählte außergewöhnlich.“
Es sind die Menschen vis-a-vis oder die neu eingezogenen Nachbarn, die gerne im Mittelpunkt der Beobachtungen stehen, aus denen nur selten Spekulationen werden: Fremde, die uns alleine durch die genauere Betrachtung seltsam nahe kommen. Mitunter werden einem aber auch nahe Menschen plötzlich fremd: Wenn man etwa eine von ihnen versteckte Waffe findet. „Willst du mich erschießen?“ Diese nicht ganz ernst gemeinte Frage steht gleich in zwei Geschichten im Raum, und man muss nicht die österreichische Kriminalstatistik im Detail kennen, um zu wissen, dass diese Fragen von Frauen an Männer gerichtet werden.
Gelegentlich kann man sich die Tragödie oder die Gewalt am Ende gut vorstellen, doch meist bleiben die Geschichten zumindest äußerlich unspektakulär. Manche sind Gescheiterte und wissen es nur noch nicht. Manche sind Betrogene und ahnen es bereits. Es sind nicht immer Beziehungen, die hier unter die Lupe genommen werden, und meist fühlen sich die Menschen, von denen Eva Schmidt schreibt, ohnedies alleine, ob sie in Paarbeziehungen leben oder nicht. Ein paar Mal knüpft die Autorin sogar ein ganzes Beziehungsgeflecht von Freunden und Freundinnen, Partnern und Verwandten. Wirklich tauschen möchte man mit niemandem. Und bei dem Gedanken daran, was die Corona-Pandemie in dieser „Welt gegenüber“ wohl gerade für Verheerungen anrichtet, wird einem ganz mulmig zumute. Eva Schmidt schafft es jedenfalls nicht nur in einer ihrer Geschichten, dass eine ganz normale Frage großes Unbehagen auslöst: „Was werden wir morgen machen?“
(S E R V I C E - Eva Schmidt: „Die Welt gegenüber“, Erzählungen, Jung und Jung, 224 Seiten, 22 Euro)