Papst trifft höchsten schiitischen Geistlichen des Irak
Papst Franziskus hat am zweiten Tag seiner Irak-Reise den höchsten schiitischen Geistlichen des Landes, Großayatollah Ali al-Sistani, getroffen. In dem 45-minütigen Treffen Samstag früh (Ortszeit) in Najaf im Südirak habe das Oberhaupt der katholischen Kirche die Wichtigkeit der Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften unterstrichen, teilte der Vatikan mit. Al-Sistani sagte indes zu, darauf zu achten, dass Christen im Irak „in Frieden und Sicherheit leben“ könnten.
Der 84-jährige Papst dankte dem 90-Jährigen für dessen stabilisierende Rolle in den vergangenen Jahren. Angesichts von Gewalt und Schwierigkeiten habe der muslimische Geistliche „seine Stimme zur Verteidigung der Schwächsten und Verfolgten erhoben“, sagte Vatikansprecher Matteo Bruni nach Angaben von Kathpress. Darum sei al-Sistani ein wichtiger Faktor für die Einheit des irakischen Volkes.
Wie Vatican News mitteilte, sei es eine Gelegenheit für den Papst gewesen, dem Großayatollah zu danken, weil der muslimische Religionsführer zusammen mit der schiitischen Gemeinschaft auch die Heiligkeit des menschlichen Lebens und die Bedeutung der Einheit des irakischen Volkes bekräftigt habe. Bei der Verabschiedung wiederholte der Papst sein Gebet zu Gott, dem Schöpfer von allem, für eine Zukunft des Friedens und der Geschwisterlichkeit für das Land Irak, für den Nahen Osten und für die ganze Welt.
Das Büro des 90-jährigen al-Sistani, der sich nie in der Öffentlichkeit zeigt, veröffentlichte im Anschluss an das Treffen ein Foto der Begegnung sowie eine Erklärung, in der der Großayatollah dem Papst für seinen Besuch in Najaf dankt. Zugleich versicherte der Schiitenführer, persönlich darauf zu achten, „dass die christlichen Bürger wie alle Iraker in Frieden und Sicherheit leben, mit all ihren verfassungsmäßigen Rechten“.
Bis zuletzt blieb unklar, ob ein gemeinsames Schreiben der beiden Religionsführer zu erwarten ist. Franziskus hatte im Jahr 2019 bei seinem Besuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten ein gemeinsames Dokument mit dem Großimam Ägyptens und hohen religiösen Vertreter des sunnitischen Islams, Ahmed al-Tajib, unterschrieben. Es trug den Titel „Die Brüderlichkeit aller Menschen - Für ein friedliches Zusammenleben in der Welt“.
Najaf, rund 150 Kilometer südlich der Hauptstadt Bagdad, ist ein wichtiges Zentrum des schiitischen Islam. Hier steht unter anderem die Imam-Ali-Moschee, wo der 661 getötete Schwiegersohn des Propheten Mohammed, Ali, begraben sein soll. Auf ihn geht der schiitische Islam zurück, neben dem sunnitische Islam die zweite große Strömung der Weltreligion. Die Schiiten stellen im Irak die Mehrheit.
Nach dem Gespräch mit al-Sistani machte sich Franziskus auf in die Ebene von Ur zum nächsten religiösen Höhepunkt des Tages. Dort ist ein interreligiöses Treffen geplant. Daran sollen unter anderem Muslime, Juden und Christen teilnehmen. In den drei Religionen wird Abraham als Stammvater angesehen, was dem Besuch in dem Jahrtausende alten Siedlungsgebiet zusätzliche Symbolik einhaucht. Der biblischen Überlieferung aus dem Alten Testament zufolge stammte Abraham aus dieser Region. Am Nachmittag will Franziskus wieder nach Bagdad reisen und eine Messe in der Kathedrale St. Josef feiern.
Franziskus war am Freitag in Bagdad eingetroffen. Es ist der erste Besuch eines Papstes im Irak überhaupt. Mit der Reise erfüllt er langjährige Hoffnungen der leidgeplagten christlichen Minderheit des Landes. Zum Auftakt forderte der 84-Jährige ein Ende der Gewalt. „Die Waffen sollen schweigen“, sagte der Papst. Zugleich rief er Iraks Führung auf, allen religiösen Gruppen Rechte und Schutz zu gewähren. „Niemand darf als Bürger zweiter Klasse angesehen werden“, sagte er.
In Bagdad empfingen ihn jubelnde Gläubige, die sich entlang der Straße aufgestellt hatten, oft dicht gedrängt. Im Vorfeld hatte es auch Kritik gegeben, weil der Papst das Land inmitten der Corona-Pandemie bereist. Die Zahl der täglichen Neuinfektionen war im Irak in den vergangenen Wochen wieder deutlich gestiegen. Der Irak gehört zu den Ländern der Region, die am stärksten von der Pandemie getroffen werden. Auch die Sicherheitslage hatte sich zuletzt wieder verschärft.
Die Region des heutigen Iraks gilt als eines der ältesten Siedlungsgebiete des Christentums. Die immer wieder verfolgte christliche Gemeinde dort ist in den vergangenen Jahrzehnten jedoch stark geschrumpft. Vor allem in den von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) kontrollierten Gebieten litten die Christen und andere religiöse Minderheiten. Einst lebten mehr als eine Million Christen im Irak. Heute sind es nach Schätzungen noch 250.000 bis 400.000.