Nach Demo-Rede: Sobotka wirft Kickl Antisemitismus vor
Der ÖVP-Nationalratspräsident präsentierte den Antisemitismus-Bericht – und nannte die Reden des FPÖ-Klubchefs bei den Demos als Beispiel.
Wien – „Judenhass ist ein jahrhundertealtes Phänomen. Es kommt aus der Mitte der Gesellschaft – wir sehen das im Internet ganz deutlich.“ Das konstatiert Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) bei der Präsentation der Antisemitismus-Studie 2020 im Auftrag des Parlaments. Antisemitismus trete heute offener und lauter auf, befindet Sobotka. Dabei gehe es darum, das Bild zu erzeugen, der Jude sei der Inbegriff des Bösen. Oft werde der Jude auch durch Israel ersetzt, sagt der ÖVP-Politiker mit Verweis auf die Rede von FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl bei den Corona-Demos am vergangenen Wochenende in Wien – ohne ihn namentlich zu nennen.
📽️ Video | Sobotka mit deutlicher Kritik an Kickl:
Bei der Rede „eines Klubobmanns sieht man ganz klar, es wird kein anderes Land erwähnt, das auch Lockdowns hat oder eine besondere Impfstrategie wie Großbritannien oder nordische Länder, sondern es wird Israel genannt“. Man bemühe den Sprachbegriff der „Apartheid“ und der „Unfreiheit“, wissend, dass Israel eigentlich die einzige Demokratie in dieser Region sei, kritisiert Sobotka. Diese Vergleiche würden ganz bewusst in diese Richtung geführt, „weil diese antisemitischen Grundmuster noch in einer ungeheuren Dichte und Breite vorhanden sind“.
Der FPÖ missfällt das und sie fordert von Sobotka eine Entschuldigung. „Kickl in Verbindung mit Antisemitismus bringen zu wollen, ist vollkommen letztklassig und hat mit der Realität nicht das Geringste zu tun“, moniert Generalsekretär Michael Schnedlitz. Er verweist darauf, Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) selbst empfehle Israel immer als nachzuahmendes Beispiel in der Corona-Politik.
Nun zur Studie selbst. Bereits 2018 wurde eine derartige Untersuchung durchgeführt. Diesmal wurden zwar erneut dieselben Fragen gestellt – hinzu kamen aber schwerpunktmäßig mediale Einflüsse auf antisemitische Einstellungen sowie Verschwörungsmythen rund um die Corona-Pandemie und ihr Zusammenhang mit Antisemitismus.
Studienleiterin Eva Zeglovits (IFES) sieht einen Zusammenhang zwischen Vertrauen in soziale Netzwerke, Verschwörungsmythen und Antisemitismus. In Österreich vertraut zwar nur eine kleine Minderheit Facebook, Instagram, WhatsApp und Co. „Dieses Vertrauen geht allerdings durchgehend mit einer überdurchschnittlich starken antisemitischen Einstellung einher“, heißt es in der Untersuchung. So nehmen etwa die Holocaust-verharmlosende Position „In den Berichten über Konzentrationslager und Judenverfolgung im 2. Weltkrieg wird vieles übertrieben dargestellt“ 24 Prozent jener ein, die TikTok vertrauen und 16 Prozent jener, die Facebook und Youtube vertrauen. Von jenen, die traditionellen Zeitungen und Zeitschriften bzw. Nachrichten im Fernsehen oder Radio vertrauen, sind nur vier Prozent der Ansicht, dass die Aussage zutrifft.
Antisemitismus und der Hang zu Verschwörungsmythen hängen eng miteinander zusammen, befindet auch Projektkoordinator Thomas Stern (Demox). 28 Prozent der Befragten empfinden die Aussage „Eine mächtige und einflussreiche Elite (z. B. Soros, Rothschild, Zuckerberg, ...) nutzt die Corona-Pandemie, um ihren Reichtum und politischen Einfluss weiter auszubauen“ als sehr oder eher zutreffend.
Insgesamt scheinen die Menschen hierzulande im Vergleich zu 2018 weniger antisemitisch eingestellt zu sein. Laut den Studienautoren sind die Ergebnisse der beiden Befragungen aber nur bedingt vergleichbar. Der islamistische Terror-Anschlag am 2. November in Wien in der Nähe einer Synagoge sowie der Angriff auf den Präsidenten der Jüdischen Gemeinde Graz Ende August hat wohl das Umfrageergebnis beeinflusst. Die Ereignisse „dürften insbesondere die Tendenz sozial erwünschten Antwortverhaltens verstärkt haben“, heißt es. (sas)
Weniger rechtsextreme Straftaten, mehr Übergriffe
Im vergangenen Jahr hat es weniger rechtsextreme Straftaten und nationalsozialistische Wiederbetätigung gegeben. Die Zahl der rassistischen Vorfälle ist dagegen gestiegen. Das zeigt die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der SPÖ-Abgeordneten Sabine Schatz durch Innenminister Karl Nehammer (ÖVP). Schatz spricht trotz des Rückgangs von einem „erschreckenden Signal“, zumal rechtsextreme Versammlungen wie in Bleiburg nicht stattfinden konnten. Sie fordert ÖVP und Grüne auf, die im Regierungsprogramm angekündigte Wiedereinführung des Rechtsextremismusberichts umzusetzen.
Konkret hat das Innenministerium im Vorjahr 801 Verstöße gegen das NS-Verbotsgesetz registriert, das sind um 236 Fälle weniger als 2019. Die allermeisten der knapp 600 namentlich bekannten Tatverdächtigen sind Männer – nur 44 Frauen wurden wegen NS-Wiederbetätigung angezeigt. Die meisten Anzeigen nach dem Verbotsgesetz gab es in Oberösterreich und Wien. Während es bei den rechtsextremen Straftaten einen Rückgang um 100 auf 697 gab, wurde ein Anstieg bei den rassistischen Übergriffen registriert (plus 15 auf 104, davon 72 im Internet). Es gab auch mehr antisemitische (plus 6 auf 36) und islamfeindliche Tathandlungen (plus 9 auf 16). (TT, APA)