Impfstoff-Verteilung: Deutschland erteilt Österreich Absage
Deutschland ist gegen die von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und anderen Ländern geforderte Neuverteilung von Corona-Impfstoffen in der Europäischen Union. „Ich kann mich über diese Diskussion nur wundern“, sagte Europa-Staatssekretär Michael Roth (SPD) am Dienstag vor Beratungen mit seinen EU-Kollegen. Es sei überrascht darüber, dass der Eindruck mangelnder Solidarität entstanden sei. „Wir haben hier ein sehr transparentes Verfahren“, fuhr Roth fort.
Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) pochte am Dienstag bei der Neuverteilung von Corona-Impfstoffen in der Europäischen Union auf „Fairness und Solidarität“. Auf die Frage, ob die im Raum stehende Vetodrohung Österreichs noch aufrecht sei, antwortet Edtstadler am Dienstag vor einem virtuellen Treffen mit EU-Amtskollegen: „Das ist nicht unser Ziel.“ Die Verhandlungen seien am Laufen, man hoffe auf eine „gute Lösung“.
Einige Staaten, darunter Österreich, hätten die ihnen nach Bevölkerungsgröße zustehenden Impfstoffkontingente nicht ausgeschöpft, sagte Roth. Diese Mengen seien anderen EU-Ländern angeboten worden. „Daraus einen Konflikt zu konstruieren, der der Heilung bedarf, sehe ich überhaupt nicht“, sagte Roth. „Ich sehe derzeit keine Veranlassung, an diesem transparenten und sehr fairen Verfahren etwas zu verändern.“
Kurz hatte gemeinsam mit fünf osteuropäischen Ländern darauf gedrungen, die Aufteilung der Impfstoffe neu zu justieren. „So wie es ist, so soll es nicht bleiben“, hatte Kurz Mitte März gesagt. Auf seiner Seite hatte er Bulgarien, Kroatien, Lettland, Slowenien und Tschechien. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte daraufhin vorgeschlagen, nun für das zweite Quartal zusätzlich vorgesehene zehn Millionen Dosen des Impfstoffs von Biontech/Pfizer für einen Ausgleich zu nutzen.
Roth lehnte derartige Korrekturen ab. Österreich und die anderen Länder hätten wie alle EU-Staaten die Möglichkeit gehabt, Impfstoffmengen gemäß ihrer Bevölkerungszahl zu bestellen, hätten es aber nicht getan, sagte er. Daraufhin seien bei den übrigen Mengen andere EU-Länder zum Zuge gekommen.
„Es geht tatsächlich um eine faire Verteilung der Impfdosen über ganz Europa“, sagte Edtstadler gegenüber Journalisten. Die Krise könne man nur „gemeinsam überstehen“, und dafür brauche es Solidarität und Chancengleichheit. Wenn in der EU bis zum Sommer 70 Prozent durchgeimpft sein sollten, hätte es wenig Sinn, wenn ein Land mehr und ein anderes Land weniger Impfungen aufweise.
Angesprochen auf die 400.000 Dosen, die Österreich aus dem vorgezogenen Biontech/Pfizer-Kontingent nach Angaben von Bundeskanzler Kurz erhalten soll, erklärte Edtstadler: „Wir wollen eine faire Verteilung und wir wollen einen Ausgleich schaffen, was immer das in Dosen dann ganz konkret heißt, aber natürlich freuen wir uns über jede Dose für Österreich“. Ginge es nach dem Bevölkerungsschlüssel würden Österreich nur 200.000 daraus zustehen.
Scharfe Kritik an seinem europäischen Parteikollegen, Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), übte indes der EVP-Gesundheitssprecher Peter Liese. „Sebastian Kurz tritt völlig unzulässigerweise als Ankläger auf, er ist ein Bittsteller“, sagte der CDU-Europaabgeordnete. Schuld an den unterschiedlichen Impfstoffmengen seien „Fehlentscheidungen“ einiger Staaten, darunter Österreich.
Er könne es der Bevölkerung in Deutschland nicht vermitteln, „dass manche Mitgliedstaaten, die auf den BioNTech-Impfstoff gesetzt haben, jetzt unter der Fehlentscheidung anderer Mitgliedstaaten leiden sollen, die aus unterschiedlichen Gründen ihre Impfstoffkontingente nicht komplett abrufen wollten, obwohl sie die Möglichkeit hatten“, so Liese weiter. Einige EU-Staaten, darunter Österreich, hätten weniger BionNTech-, bzw. Moderna-Impfstoff bestellt, als ihnen nach dem Verteilschlüssel pro Kopf der Bevölkerung zugestanden hätten.
In Hinblick auf Forderungen nach umfassenden Exportverboten für in der EU produzierte Impfstoffe, zeigte sich Roth vorsichtig. Bei Impfstoffen gehe es um komplizierte Lieferketten, bei denen Europa auch Bestandteile aus Drittstaaten beziehe, sagte er. „Insofern gibt es bei uns auch eine gewisse Zurückhaltung gegenüber generellen Exportverboten.“
Es sei aber „völlig richtig“, dass die EU-Kommission bei den Herstellern auf die Erfüllung ihrer Lieferzusagen poche und auch mit Exportstopps gedroht habe, sagte Roth. „Es gibt gute Gründe dafür, dass die Europäische Union hier auch sehr hart und konsequent ist.“. Bei Exportverboten müssten aber die Konsequenzen bedacht werden. „Das heißt, wir sollten Probleme verringern und nicht neue Probleme schaffen.“
Bei möglichen Exportverboten liegt die EU vor allem im Streit mit Großbritannien. Sie fühlt sich bei Impfstofflieferungen durch den britisch-schwedischen Hersteller Astrazeneca benachteiligt, der auch in der EU produziert. Von der Leyen hatte deshalb Astrazeneca mit einem Exportverbot gedroht, sollte der Pharmakonzern nicht zuerst seine vertraglichen Lieferpflichten gegenüber der EU erfüllen.