Literatur

„Adas Raum" von Sharon Dodua Otoo: Es muss auch anders gehen

Sharon Dodua Otoo, geboren 1972 in London, lebt seit 2006 mit ihrer Familie in Berlin. 2016 gewann sie den Bachmann-Preis.
© APA

Vier Frauen, vier Epochen, eine Geschichte: Bachmannpreisträgerin Sharon Dodua Otoo legt mit „Adas Raum“ ihren ersten Roman vor.

Von Joachim Leitner

Innsbruck – Die Bühne der deutschsprachigen Literatur betrat Sharon Dodua Otoo mit einem Paukenschlag. Mit ihrer Erzählung „Herr Gröttrup setzt sich hin“ – dem ersten längeren Text, den sie in deutscher Sprache verfasst hat – gewann die Britin 2016 den Bachmann-Preis. Ihr erster Roman „Adas Raum“ knüpft an den Bachmann-Text an. Auch hier gibt es geistgleiches Ich, das aus der Perspektive der Dinge erzählt. Beim Herrn Gröttrup schlüpfte das Ich in ein Frühstücks-Ei. Jetzt fährt es in Besen, Türklopfer oder in einen Reisepass.

© imago stock&people

Aus der Perspektive der Gegenstände erzählt Otoo von vier Frauen, die alle Ada heißen und in vier Zeiten vielleicht nicht Vergleichbares, aber Verwandtes ertragen. Verschiedene Motive und Konstellationen ziehen sich durch die vier Geschichten. Otoo komponiert die Erzählstränge mit großer Präzision. Überhaupt ist „Adas Raum“ ein Meisterwerk sprachlicher Genauigkeit: keine Floskeln, kein selbstverliebter Schnörkel. Der Text verlangt höchste Lesekonzentration, fordert sie ein. Die Zeitebenen wechseln fast unmerklich. Auf offensichtliche Orientierungshilfen verzichtet die Autorin. Um Eindeutigkeit Bemühtes, das beweist dieser großartige Roman mit jedem Satz, will misstrauisch besehen werden. Sonst droht Eindimensionalität, Vereinfachung, Ungenauigkeit und gewaltsame Verfälschung.

Die Erzählung beginnt mit Ada, die im 15. Jahrhundert im westafrikanischen Totope von einer Nachbarin malträtiert wird, weil sie die Erwartungen nicht erfüllt. Dann kommen die Kolonisatoren – und es bleibt grausam. Die zweite Ada – an Ada Lovelace angelehnt, Tochter Lord Byrons und im 19. Jahrhundert Pionierin dessen, was man(n) später Informatik nennen wird – schert aus – und wird bestraft. Die Geschichte der dritte Ada setzt in einem KZ-Bordell die Menschheitsverbrechen Kolonialismus und Shoa in ein Verhältnis. Fraglos: ein heikles Unterfangen. Vielleicht ist des gerade deshalb notwendig. Auch als Gegenerzählung zu gutgemeinter Betroffenheitsprosa und marktgängigem Holocaust-Kitsch, wie ihn zuletzt etwa Takis Würger mit „Stella“ vorlegte. Der vierte Strang – er spielt im Berlin der Gegenwart – verdichtet nach wie vor gängige Vorurteile und Alltagsrassismen in anschauliche Bilder: Auch hier sucht eine Frau nach einem Raum für sich – und wird ­abgewiesen.

„Adas Raum“ ist ein hochpolitischer Roman, der sich keine Posen, keine Kapriolen erlaubt. Er schärft den Blick auf Machtstrukturen und unheilvolle Kontinuitäten. Ein forderndes, sprichwörtlich ungemütliches und offensiv unkonventionelles Buch, das deutlich macht: Es muss auch anders gehen. Es geht auch anders.

Roman Sharon Dodua Otoo: Adas Raum. S. Fischer, 318 Seiten, 22,70 Euro.

Verwandte Themen